Luftschutzraum am Lagenser Bahnhof

Nachdem die Bahn die aufwendigen Umbauarbeiten am Lagenser Bahnhof zum Abschluss gebracht hatte, plante die Stadtverwaltung die Anlegung eines zentralen Omnibusbahnhofes  (ZOB). Der ZOB sollte im Bereich zwischen dem Empfangsgebäude und der altehrwürdigen Kastanienalle verwirklicht werden. Dabei sollte die Busspur recht nahe an die Gleisanlage herangeführt werden, die Zufahrt sollte über die Bahnhofstraße erfolgen.

 1. „Entdeckungsgeschichte“

Um zu erkunden, wie sich in dem zu überbauenden Bereich die Bodenverhältnisse darstellten, beauftragte die Stadt sog. „Bohrsondierungen“, die im Herbst 2015 durchgeführt wurden. Bei einer der bis in 2,20 m Tiefe durchgeführten Bohrungen stieß man unerwartet auf einen Hohlraum. Zunächst ging es darum, die Bohrergebnisse aufzubereiten, später setzten dann auch Überlegungen ein, worum genau es sich bei dem entdeckten Hohlraum überhaupt handeln könne. Ein Mitarbeiter eines Unternehmens, das zu diesem Zeitpunkt auf dem Gelände Arbeiten für die Bahn ausführte, hat die Gelegenheit genutzt, und ein Handy durch das Bohrloch hinunterzulassen. Erkennbar war das sehr gut erhaltene Ziegelmauerwerk eines langgestreckten Ganges mit undefinierbaren, regelmäßigen Strukturen in Bodennähe.

In ihrem Bemühen, nachzuvollziehen, um was genau es sich bei dem Hohlraum handelte, wurden durch die Stadt Lage in der Folgezeit einige ortsgeschichtlich interessierte Personen angesprochen. Hierbei wurde ein weiteres Mal mit einer besonderen Vorrichtung ein Handy durch das Bohrloch herabgelassen. Wegen der absoluten Dunkelheit in dem untersuchten Raum brachten die mit dem Handy gemachten Videoaufnahmen keine neuen Aufschlüsse. Erste Vermutungen, dass es sich um die erhalten gebliebenen Kellerräume des alten Lagenser Bahnhofes (1880 bis 1903) handeln könne, fanden sich nicht bestätigt.

Die Stadt entschied sich daher, den Hohlraum zu öffnen, um ihn so besser untersuchen zu können. Mithin erfolgte die Beauftragung eines Unternehmens, in der Betondecke einen kreisrunden Ausschnitt anzulegen, der im Durchmesser so groß war, dass durch ihn hindurch eine Person in den Raum hinabsteigen konnte. Eine erste Begehung fand durch Mitarbeiter des Städtischen Abwasserbetriebes statt.

Da entsprechende Messgeräte einen zu geringen Sauerstoffgehalt in der Raumluft anzeigten, erfolgte die erste orientierende Untersuchung in einem Schutzanzug mit umluftunabhängiger Sauerstoff-Versorgung. Hierbei entstanden mit einer speziell für die Befahrung von Abwasserkanälen vorgesehenen Kamera erste brauchbare Videoaufnahmen. Die Aufnahmen zeigten, dass sich an den jeweiligen Enden des Raumes jeweils ein weiterer kleinerer Raum anschloss, deren Bedeutung aber zunächst unklar blieb. Ferner wurde erkennbar, dass es sich bei den vorher schon festgestellten Strukturen in Bodennähe um in der Wand eingemauerte Eisen handelte, an denen sich teilweise noch verrostete Schrauben befanden.

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Die Anlage wurde nach oben durch eine Betonplatte knapp unterhalb der Gelände-Oberkante abgedeckt, sodass sich die äußeren Umrisse in der Anlage gut abzeichneten. Mit einem Minibagger wurden daraufhin die Stirnseiten des Baus freigelegt, wobei auf der zum Bahnhof hin gewandten Seite eine Art Treppenaufgang freigelegt wurde und auf der gegenüberliegenden Seite ein mit Steigeisen versehener Schacht. Nach Beseitigung der in diesen Bereichen vorhandenen Erdmassen, war die Anlage ohne weiteres begehbar.

2. Notwendigkeit von Schutzbauten

Als Luftschutzraum diente das Bauwerk dem Schutz von Personen gegen den Bordwaffenbeschuss (Maschinengewehre, Maschinenkanonen, Luft/Boden-Raketen) durch anfliegende Feindmaschinen bzw. als Schutz gegen die Splitterwirkung abgeworfener Bomben kleineren und mittleren Kalibers.

Die Notwendigkeit derartiger Schutzräume zeigte sich verstärkt ab dem Jahre 1944, da Feindmaschinen zunehmend unbehelligt von der deutschen Jagdabwehr Bodenziele unter Beschuss nehmen konnten. Hierbei galten Einrichtungen der Deutschen Reichsbahn als besonders gefährdete Ziele, da auch in OWL und in Lippe zunehmend Luftangriffe auf Eisenbahnstrecken, Züge und Bahninfrastruktur geflogen wurden.

Auch Lage war 1945 das Ziel von Bomberverbänden, die eine bestimmte Eisenbahnbrücke, bzw. das Empfangsgebäude ausschalten wollten. Durch Fehlabwürfe waren am Ende ca. 80 Tote und enorme Sachschäden zu verzeichnen, ohne dass die eigentlichen Ziele getroffen wurden.

In Bahnhofsnähe bestanden für das „reisende Publikum“ schon seit 1939 Splitterschutzgräben und Luftschutzräume, welche im weiteren Kriegsverlauf noch ausgebaut wurden (das Bahnpersonal selbst konnte einen als Luftschutzraum hergerichteten Kellerraum im Bahnhofsgebäude nutzen). Die Bunkeranlage, um die es vorliegend geht, scheint recht spät im Kriegsverlauf errichtet worden zu sein und ist in den noch verfügbaren Beständen des Stadtarchivs Lage nicht erwähnt.

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3. Bauausführung

Im Grundriss handelte es sich um einen Bau, der im wesentlichen aus einem langgestreckten Raum (ca. 12 m lang) bestand. An den jeweiligen Enden befanden sich Zugänge, am östlichen Ende noch zusätzlich ein kleiner Raum von etwa 2 x 2 m Grundfläche.

Das Bauwerk verfügte über einen Fußboden aus Beton, die aufstehenden Mauern waren aus Ziegelwerk hergestellt. Die Anlage wurde oben komplett durch eine Betondecke abgeschlossen. Zur Zeit seiner Wiederentdeckung begann die Betondecke der Schutzanlage nur wenige Zentimeter unterhalb der Gelände-Oberkante.

Die Einrichtung verfügte über eine Elektroinstallation mit Zuleitung, Verteilerkästen und Schaltern. Über speziell hergestellte Entlüftungen bestand eine Verbindung nach außen, sodass sich ein permanenter Luftaustausch ergab. Nach überschläglicher Rechnung verfügte der Luftschutzraum über ein Fassungsvermögen von ca. 60 bis 80 Personen.

 

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4. Wissenschaftliche Untersuchung

Die Anlage wurde durch Archäologen des Lippischen Landesmuseums untersucht. Vorgefundene Gegenstände wurden von den Archäologen zur nähren Untersuchung mit nach Detmold genommen. Im Wesentlichen handelte es sich hierbei um Gegenstände der Elektroinstallation aber auch um Flaschen und ähnliches.

Zu den durchgeführten Arbeiten gehörte auch eine Foto-Dokumentation, eine Vermessung des Baukörpers und die Freilegung eines Teils des sich direkt an den Bau anschließenden Geländes bis in eine Tiefe von ca. 1 m. Dabei kam ein sehr gut erhaltenes Kopfsteinpflaster zum Vorschein, das aller Wahrscheinlichkeit nach zum alten Lagenser Bahnhof gehörte und das durch eine später erfolgte Geländeanhebungen nicht mehr sichtbar war.

5. Zeitzeugenbefragung

Seitdem Gewissheit bestand, dass es sich um einen Luftschutzraum handelte, wurde versucht, Näheres über die Anlage in Erfahrung zu bringen. Ältere Lagenser, die die Kriegszeit noch bewusst miterlebt hatten, konnten sich zwar an zahlreiche Gräben erinnern, die – teilweise in Zickzack-Form – die Kastanienalle durchzogen oder die parallel zur früheren Ladestraße angelegt waren. Hinweise auf die nunmehr wiederentdeckte Luftschutzanlage gab es allerdings nicht.

Diffuse Hinweise auf einen „Bunker“ auf dem Bahnhofsgelände kamen zwar schon vor vielen Jahrzehnten von leitenden Bahnmitarbeitern, allerdings waren diese Informationen viel zu vage, als dass ihnen eine Bedeutung hätte beigemessen werden können.

Selbst Personen, die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei der Bahn in Lage beschäftigt waren (z. B. im Rottendienst), konnten sich nicht an das Vorhandensein der Anlage erinnern. Inzwischen sind auch zwei Zeitungsartikel zu der Thematik erschienen; Reaktionen aus der Bevölkerung, die geeignet sein könnten, hier etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hat es bislang aber noch nicht gegeben.

6. Ausblick

Die Anlage musste angerissen werden, da das von der Bahnhofstraße her ansteigende Gelände um über 1 m abgetragen werden musste, damit der ZOB realisiert werden konnte. Einen materiellen Schutz als Bodendenkmal genoss die Anlage nicht, so dass der „Bahnhofsbunker“ schon bald der Baggerschaufel zum Opfer fallen musste. Umso wichtiger war, das Vorhandene zu dokumentieren und nicht in dem Bemühen nachzulassen, Einzelheiten zur Geschichte des Baus in Erfahrung zu bringen.

Im Übrigen gibt es Überlegungen, die Erkenntnisse über den Luftschutzraum auf dem Lagenser Bahnhof zusammenzufassen und zu veröffentlichen.

Autor: Konrad Soppa