Nach unseren Erfolgen mit der Puttgarden-Anlage war die Jugendgruppe auf der Suche nach neuen Projekten. Die Wahl fiel auf den Anhalter Bahnhof in der Spur N (Maßstab 1:160). Die Spurweite wurde gewählt, da zeitgleich die Erwachsenen-Gruppe in den Modulbau gleicher Spur eingestiegen war, so dass eine Verknüpfung des Anhalter Bahnhofs mit einer größeren Anlage möglich werden sollte. Ein Konzept, dass sich anschließend auf viele Ausstellungen bewähren sollte. 1995 konnte diese Kombination bei einer Modellbahnausstellung im Lagenser Autohaus Stegelmann erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Das Modell des Anhalter Bahnhofs gliedert sich in 4 Themenbereiche. Dieses sind der Personenbahnhof, die Brücke über den Landwehrkanal mit der Hochbahn, das Gleisvorfeld mit der Güterabfertigung sowie dem Betriebswerk und die kreuzungsfreie Ausfädelung auf die Strecke. Diese Größe hatte das Modell nicht von Anfang an, sondern wurde nach und nach erweitert, verschönert und verbessert. Das Modell gibt den Zustand in den 1930er Jahren wieder.
Der Personenbahnhof
Mit dem Personenbahnhof begann der lange Weg bis zum heute vorhandenen Modell. Beim Nachbau des Anhalter Bahnhofs war es von Vorteil, dass es von der imposanten Bahnhofshalle einen Papiermodellbaubogen gab. Das Papiermodell wurde mit Holzleisten verstärkt und die Größe der Segmente so gewählt, dass sie sich noch im Auto transportieren ließen. Dieses ursprünglich entstandene Papiermodell war nach vielen Messebesuchen so stark beschädigt, dass es durch die heutige Papierkonstruktion, die auf Holzplatten gezogen ist, ersetzt wurde. Im Vergleich zum Ursprungsmodell ist das neue Bahnhofsgebäude durch zahlreiche Verzierungen detailreicher. Das Dach des Bahnhofs wurde abnehmbar, in Spantenbauweise gebaut, um in die Halle greifen zu können. Bei den im Bahnhofsumfeld stehenden Gebäuden konnte kaum auf bestehende Modelle der gängigen Hersteller zurückgegriffen werden. Fast alle Gebäude wurden anhand von Grundrissen und Fotos in Papier- oder Kunststoffbauweise selbst konstruiert und gebaut. Auch an den Gleisanlagen wurden diverse Änderungen im Lauf der Jahre vorgenommen. Am auffälligsten sind die Änderungen der Gleise in der Bahnhofshalle. Die zunächst nur 2 Gleise, die zwischen den Bahnsteigen lagen, sind mittlerweile um je ein weiteres ergänzt worden, so dass ein Umsetzen der Lokomotiven erleichtert wird. Auch das Vorbild hat diese Änderung erfahren.
Der Landwehrkanal
Erst nachträglich entstand das Segment mit dem Landwehrkanal, es wurde zwischen Bahnhof und Vorfeld eingefügt. Bei seinem Bau bestanden die gleichen Probleme wie bereits beim Bau des Personenbahnhofs. Gebäude oder Brückenbausätze waren von den gängigen Herstellern nicht zu bekommen. So entstand die viergleisige Bahnbrücke über den Kanal in Holzbauweise und die darüber verlaufende Kastenbrücke der Hochbahn als Kunststoffkonstruktion. Die weiteren Teile der Hochbahn wurden wieder aus Holz konstruiert. Die Gebäude am Halleschen- und Tempelhofer Ufer sind Papierkonstruktionen. Durch die später erfolgte Erweiterung durch je ein seitlich angeschraubtes Segment an beiden Seiten wurde die Hochbahn betriebsfähig und mit einer Pendelsteuerung versehen, so dass kein Personal für den Betrieb der Hochbahn erforderlich ist. Die nach einiger Zeit verschlissene Landwehrkanalbrücke der Hochbahn wurde später durch eine gelötete Messingkonstruktion ersetzt.
Das Gleisvorfeld mit Güterabfertigung und Betriebswerk
Dieser Bereich entstand aus einem früher nur 30 cm breiten Segment mit den für den Betrieb erforderlichen Weichen, welches zur Darstellung von Landschaft und Gebäuden verbreitert, und um weitere Segmente ergänzt wurde. Heute machen Vorfeld und Betriebswerk flächenmäßig den größten Teil der Anlage aus. Dennoch mussten aufgrund der umfangreichen Gleisanlagen beim Original beim Modell Abstriche gemacht werden. Ein originalgetreuer Nachbau hätte nicht nur den räumlichen Rahmen, sondern auch das Budget gesprengt. So wurden die Gleisanlagen an die Rahmenbedingungen angepasst. Dabei wurde darauf geachtet, dass die markanten Bauwerke wie Güterabfertigung und Betriebswerk gut zur Geltung kommen. Insbesondere die beiden Drehscheiben mit den großen Ringlokschuppen prägen diesen Bereich. Die Gebäude wurden wieder nach bewährtem System selbst gebaut. Für den Betrachter entsteht so der Eindruck, dass alles wie im Original ist.
Die T-förmige Ausfädelung
Um den Bahnhof in eine bestehende Modulanlage einfügen zu können, entstand als Ersatz für eine zuvor genutzte provisorische Ausfädelung später eine aus drei Segmenten bestehende, z.T. kreuzungsfreie Ausfädelung. Kreuzungsfrei meint hierbei, dass bei der Ein- oder Ausfahrt der Hauptroute keine Kreuzung der Streckengleise der Gegenrichtung stattfindet. Dies wird durch eine Brücke erreicht, welche das ausfahrende Gleis über die Streckengleise führt. Ein konkretes Vorbild gibt es dafür nicht, jedoch gibt es in Berlin – insbesondere entlang des Außenrings – eine Vielzahl ganz ähnlicher Abzweigstellen.
Die drei Segmente haben aufgebaut die Form eines T, und können an drei Enden an andere Anlagenteile angefügt werden. Eins davon ist fest auf die Anschlussmaße des Vorfeldbereiches des Anhalter Bahnhofs ausgelegt, die anderen beiden Enden passen an die normalen N-Module unseres Vereins. So ist es möglich, z.B. Güterzüge am Anhalter Bahnhof vorbei zu führen, und Personenzüge in den Bahnhof hinein bzw. von dort später wieder auf die Strecke zu führen. Eine Anpassung der von uns entwickelten Blockstellensteuerung ermöglicht einen vollautomatischen Betrieb der durchfahrenden und einen halbautomatischen Betrieb der abzweigenden Züge.
Die Steuerung
Einen erheblichen Aufwand bedeutet die Steuerung der Anlage. Zum einen bedingt durch die Größe, die zahlreichen Gleise und Weichen, bzw. Kreuzungen und zum anderen durch die Erfordernis, mehrere Züge gleichzeitig fahren zu können, wurde eine komplexe Steuerung entwickelt, deren Basis die Verwendung mehrerer Fahrregler und zahlreicher Einspeisestellen ist. Jede dieser Einspeisestellen kann wahlweise zwei verschiedenen der insgesamt vier Fahrregler zugeordnet werden. Zudem wurde allen Weichen über Relais das „Denken“ beigebracht, so dass sich der Fahrstrom von der Einspeisestelle aus stets über die Weichenstellungen fortsetzt. Die Ausleuchtung auf den Stellpulten folgt dieser Logik, so dass immer ersichtlich ist, welches Gleis gerade spannungsführend und welchem Fahrregler zugeordnet ist. Damit ist es möglich, insgesamt vier Züge gleichzeitig und unabhängig voneinander zu fahren, was aber große Aufmerksamkeit des Personals erfordert. Dazu bestehen drei Stellpulte für die verschiedenen Bereiche des Bahnhofs und außerdem noch mehrere Netzteile zur elektrischen Versorgung. Der Bereich der Ausfädelung läuft weitgehend automatisch, was das Personal wesentlich entlastet, denn so werden die Züge selbsttätig auf die Strecke gebracht, sobald diese frei ist.
Verwendung der Anlage
Auf Grund seiner Größe konnte der Anhalter Bahnhof in unseren bisherigen Vereinsheimen nicht vollständig aufgebaut werden. Er wurde daher vor allem für externe Ausstellungen verwendet, auf denen ausreichend Platz ist. So war er viele Jahre regelmäßig auf den Lipper Modellbautagen in Bad Salzuflen zu Gast, wo er zusammen mit der großen Modulanlage gut zur Geltung kommt. Wir streben an, nach seiner Renovierung ihn zukünftig sowohl in unserem neuen Vereinsheim, als auch auf externen Ausstellungen regelmäßig zu präsentieren.
Das Original
Der Personenbahnhof wurde 1880 fertig gestellt und ersetzte ein Gebäude aus dem Jahr 1841 (Eröffnung des Bahnhofs). Ursprünglich gehörte der Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn. Diese wurde 1882 vom preußischen Staat übernommen. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs, 1918, übernahm ihn die deutsche Reichsbahn. Im zweiten Weltkrieg erlitt der Bahnhof schwere Schäden. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erlebte der Bahnhof noch mal eine kurze Blütezeit, mit z.B. 1951 7 Schnellzugpaaren und 12 Personenzugpaaren. Doch die Tage des Anhalter Bahnhofs waren gezählt. In den Westzonen (gehörte aber der Reichsbahn) gelegen und nach Dresden führend konnte es die DDR nach Einführung der DM nicht tolerieren, dass ihre Fernzüge in ein fremdes Währungsgebiet fuhren. Die DDR baute den südlichen Güteraußenring so um, dass die Züge anstatt in den Anhalter Bahnhof in den Ostbahnhof fahren konnten. Diese Umbaumaßnahmen waren 1952 abgeschlossen und der Personenverkehr im Anhalter Bahnhof endete am 17.05.1952. Die Abbrucharbeiten am Personenbahnhof begannen 1959 und endeten 1965. Heute ist nur noch das Eingangsportal erhalten. Der Güterbahnhof des Anhalterbahnhofs wurde bis zuletzt von der Reichsbahn genutzt, wenn auch nur in geringen Umfang. Der den meisten bekannte, verbliebene Teil des Anhalter Bahnhofs ist das Bahnbetriebswerk in dem heute das Verkehrsmuseum untergebracht ist.
Renovierung der Anlagenteile Ende 2021
Während wir mit dem Umzug in und der Aufarbeitung des neuen Vereinsheims in Ehlenbruch beschäftigt waren, war der gesamte Anhalter Bahnhalter gut geschützt und sicher verpackt eingelagert. Mit der schrittweisen Wiederaufnahme unserer Aktivitäten im Bereich der Modellbahn wurden zunächst die Module in Rheintal-Segmente in Spur N wieder aufgestellt. Nachdem andere Anlagenprojekte ausgelagert werden konnten, entstand im Güterschuppen Platz, um auch den Anhalter Bahnhof mal wieder aufzubauen und zu untersuchen, dies geschah im Oktober 2021.
Schon aus den letzten Ausstellungen, auf denen wir ihn gezeigt haben, war uns im Gedächtnis geblieben, dass sich nach und nach so einige Mängel und Beschädigungen an der schon über 20 Jahre alten Anlage eingeschlichen hatten. Diese wollen wir nun beheben, und denken dabei auch über Umbauten nach, um den Anhalter Bahnhof fit für die Zukunft zu machen.
Nach dem Aufbau und den ersten Probefahrten konnten wir ein überraschend positives Resümee ziehen: es funktioniert noch fast alles. Lediglich einige Weichen und Fahrstromrelais streikten, das Meiste davon haben wir schon beheben können. Im Dezember 2021 werden wir uns vor allem um die Aufarbeitung der Landschaft und Gebäude kümmern. In den Folgemonaten werden wir wahrscheinlich auch das eine oder andere verschlissene Segment ersetzen müssen und ein neues Steuerkonzept entwickeln. Bisher läuft letzteres analog mit insgesamt drei Gleisbildstellpulten, die über mehrere vieladrige Kabel mit der Anlage verbunden sind; insgesamt dürften es über 250 Adern sein, über die Steuer-, Fahr- und Versorgungsströme zwischen Stellpulten und Anlagenteilen fließen. Das Bedienkonzept an sich hat sich zwar bewährt, ist leicht zu erlernen, und gestattet das gleichzeitige Fahren von bis zu vier Zügen. Jedoch bringen die vielen Verbindungsstecker inzwischen auch eine gewisse Störanfälligkeit mit sich, das wollen wir ändern.
Lars Goedeke (mit Aktualisierungen von Christian Schulz)