Bedeutendes Jubiläum für Lippe und die Region: 150 Jahre Eisenbahn in Lippe

Die Eisenbahn in Lippe feiert in diesem Jahr ihr 150jähriges Bestehen, denn am 1. Oktober 1872 ging der Bahnhof Schieder in Betrieb, als erste Station in Lippe überhaupt. Mit dem Bild, das wir heute von der Eisenbahn haben, ist aber die Bedeutung dieses Ereignisses kaum noch zu ermessen. Wirtschaftlich schwachen Landstrichen versprach das neue Massen-Verkehrsmittel eine bedeutende Steigerung ihres Wohlstandes durch Handel und Verkehr. Für Lippe kam die Bahn deshalb wie gerufen.

„Die Eisenbahn hat die lippische Wirtschafts-, Verkehrs- und Sozialgeschichte fundamental verändert“ weiß Autor Konrad Soppa von den Eisenbahnfreunden Lippe. Auch für die Städte, die der Schienenstrang erstmalig berührte, ergaben sich tiefgreifende Veränderungen, etwa im städtebaulichen Bereich. „Bahnhöfe lagen damals weit vor den Toren der Stadt, im Laufe der Jahrzehnte wurde dann vorrangig die Bereiche zwischen Bahnhof und historischem Ortskern bebaut“, so Soppa weiter. Während sich in den meisten Städten die mit dem Eisenbahnbau verbundenen Erwartungen erfüllten und Handel und Gewerbe das wirtschaftliche Leben begünstigten, war das in Schieder selbst nicht der Fall.

Das Empfangsgebäude auf Bahnhof Schieder, aufgenommen um ca. 1910. Es mußte schon längst einem schmucklosen Zweckbau weichen (Foto: Sammlung Konrad Soppa)

Bereits 2007 hat Soppa zur Eisenbahn in Schieder veröffentlicht. Zusammen mit Mitstreitern im Ort konnte ein Büchlein entstehen, das aufgrund der großen Nachfrage mehrfach nachgedruckt werden mußte. Es wurde in Schiederschen Geschäften zum Selbstkostenpreis abgegeben, 2 € des Verkaufspreises flossen in Verschönerungsmaßnahmen am Schiederschen Bahnhof. Das Buch ist längst vergriffen und wird nur selten in Antiquariaten angeboten. „Das Besondere an der Veröffentlichung waren die zahlreichen Bilder aus privaten Fotoalben“ so Soppa weiter. „Sie sind ein Schatz und erzählen eine in Teilen unbekannte Geschichte der ersten lippischen Bahnstation.“

Aus Anlass des damals 135jährigen Jubiläums erschien diese Veröffentlichung zum Bahnhof Schieder (Foto: Konrad Soppa)

In ihrer Ausgabe vom 15. März 2022 griff die Lippische Landeszeitung das Jubiläum und das Buch zur Geschichte des Bahnhofs Schieder auf. Wie dem Artikel der Landeszeitung zu entnehmen ist, möchte die Stadt Schieder-Schwalenberg das Jubiläum in irgendeiner Form begehen. Man darf gespannt sein… Da das Buch zum Bahnhof Schieder vergriffen ist und es keine Neuauflage geben wird, möchten die Eisenbahnfreunde Lippe im Nachstehenden wenigstens einen Blick in den Textteil ermöglichen. Aus urheberrechtlichen Gründen können die Fotos an dieser Stelle leider nicht wiedergeben werden.

Schieder – Lippes erste Bahnstation

Der Betrieb einer Eisenbahn war Mitte des 19. Jahrhunderts im Grunde genommen eine private Angelegenheit, deren Finanzierung im Regelfall das größte Problem darstellte. Allerdings standen die Eisenbahnbauvorhaben unter dem Vorbehalt einer staatlichen Genehmigung, die in Form einer sog. „Konzession“ erteilt wurde. Im Königreich Preußen bestanden in den 1860er Jahren bereits eine Reihe von privaten Bahngesellschaften, die das deutsche Eisenbahnnetz beständig anwachsen ließen. Für den Anschluss des kleinen Fürstentums Lippe schien sich jedoch niemand, der die dazu nötigen Finanzmittel hätte aufbringen können, zu begeistern. Ganz besonders galt dies für das Fürstentum selbst, um dessen Gebiet herum sich bereits stark befahrene Strecken ergeben hatten. Es war dies im Norden die durch Herford und Bielefeld führende Cöln-Mindener-Eisenbahn und im Süden die Westfälische Eisenbahn, die Altenbeken berührte und die in Hamm auf die Cöln-Mindener Bahn traf. Für Hannover als aufstrebenden Industriestandort war Hamm als „Tor zum Ruhrgebiet“ von besonderer Bedeutung, so dass ein großes wirtschaftliches Interesse bestand, von Hannover ausgehend eine neue Bahnstrecke anzulegen, die bei Altenbeken an das vorhandene ostwestfälische Gleisnetz anschließen konnte.

Zu diesem Zweck gründete sich die Hannover-Altenbekener-Eisenbahngesellschaft (HAE). Die HAE beantragte beim preußischen Staat die Konzessionierung der neuen etwa 107 km langen Linie, die aber nicht nur preußisches Gebiet berührte, sondern auf einer Länge von etwa 5.700 m bei Schieder auch das Fürstentum Lippe und dessen Exklave Grevenhagen. Seitens des Königreichs Preußens erhielt die HAE am 25.11.1868 die Konzessionsurkunde, jedoch musste auch das Fürstentum Lippe dem Vorhaben noch zustimmen. Die Verhandlungen hierüber fanden um die Jahreswende 1868/1869 statt, wobei anzumerken ist, dass auf preußischer Seite höchstgestellte Persönlichkeiten an den Verhandlungen beteiligt waren, nämlich der spätere Kaiser Wilhelm I. sowie der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck. Die lippische Delegation wurde durch den Regierungspräsidenten Heldmann geleitet. Die Verhandlungen fanden am 23.01.1869 in Braunschweig ihren Abschluß, zwei Monate später lag der HAE die noch fehlende lippische Konzessionsurkunde vor. In der Zwischenzeit hatte Lippe durch den Erlass eines Eisenbahngesetzes auch die rechtlichen Voraussetzungen für den Eisenbahnbau geschaffen, so dass die für den Bahnbau benötigten Grundstücksflächen notfalls auch enteignet werden konnten. Die letzten Hindernisse waren damit beseitigt, der Eisenbahnbau auf lippischem Grund und Boden konnte beginnen!

Bereits im August 1869 waren die Vermessungsarbeiten so weit vorangeschritten, dass Richtung und Breite der Bahntrasse in der Örtlichkeit abgesteckt waren. Die staatsvertraglichen Regelungen sahen vor, im Ort Schieder einen Bahnhof anzulegen. Hierüber gab es zwischen Lippe, Preußen und der HAE völliges Einvernehmen, zumal Schieder der Kreuzungspunkt wichtiger Chausseen und die Sommerresidenz des lippischen Fürstenhauses war. Fürstlicher Wunsch war es im Übrigen auch, den Bahnhof jenseits der Emmer gegenüber dem fürstlichen Schloss anzulegen, was sich von Seiten der Bahnverwaltung ebenfalls als völlig unproblematisch darstellte. Einzig die benachbarten Blomberger konnten sich nicht mit der Lage des geplanten Schiederaner Empfangsgebäudes anfreunden. Ihrer Meinung nach hätte der Bahnhof besser zum Nessenberg hin verlegt werden sollen, weil er hier von der Blomberger Bevölkerung viel besser hätte erreicht werden können. Möglicherweise in Unkenntnis dessen, dass der in Aussicht genommene Standort der ausdrückliche Wunsch des lippischen Fürstenhauses war, ließ Blomberg nichts unversucht, den Schiederaner Bahnhof weiter als bisher an Blomberger Gebiet heranrücken zu lassen. Wie ernst dieses Bemühen gemeint war belegt die Tatsache, dass Blomberg nötigenfalls bereit gewesen wäre, 18.000 RM für die Verlegung des Bahnhofes zum Nessenberg zu bezahlen. Zu ändern vermochte diese Offerte nichts, der Bahnhof wurde dort errichtet, wo er von Anfang an geplant war, nämlich gegenüber dem Schlosspark.

Baurat Keil, der Technische Direktor der HAE, war im Herbst 1869 u. a. mit der Planung des Bahnhofsgebäudes befasst. Am 27.09. schrieb er die lippischen Stellen an, um bauliche Details bezüglich des Fürstenzimmers zu klären, das als Anbau an das Empfangsgebäude angefügt werden sollte. Bis zur endgültigen Errichtung des Bahnhofes sollten allerdings noch zwei Jahre vergehen, da der deutsch-französische Krieg von 1870/1871 einige Verzögerungen bezüglich des Baus der Strecke mit sich brachte. Soweit das lippische Gebiet betroffen war, konnte der Bau der Gleisanlagen im Frühsommer 1872 zum Abschluß gebracht werden. Wohl auch das Empfangsgebäude sowie die Nebengebäude dürften kurze Zeit danach bezugsfertig geworden sein, denn die Betriebseröffnung der neuen Bahn war für den 12.09.1872 vorgesehen. Bei der Bauabnahme am 07.07.1872 wurden jedoch noch kleinere Mängel festgestellt (im Wesentlichen an Gräben, Wegen und Einfriedigungen), so dass sich die Einweihung etwas verzögerte.

Die Aufnahme des Betriebes erfolgte am Dienstag, dem 01.10.1872. Interessanterweise gibt es keine Hinweise darauf, dass es in Schieder so etwas wie eine Einweihungsfeierlichkeit gab, bei der vielleicht ein festlich geschmückter Eröffnungszug umringt von einer jubelnden Menschenmenge die Ehrengäste von und nach Schieder gebracht hätte. Feierlichkeiten dieser Art waren jedenfalls später allgemein üblich. Am Eröffnungstag verkehrten die sechs planmäßigen Personenzüge (jeweils drei in Richtung Hameln bzw. Altenbeken, wobei letztere wegen der noch nicht fertig gestellten Strecke vorerst nur bis Steinheim fahren konnten) sowie ein imposanter Güterzug, bestehend aus zwei Lokomotiven und 34 angehängten Waggons. Der erste Bahnhof auf lippischem Gebiet war damit in Betrieb gegangen. Leider liegen keine Betriebsfotos für die hier eingesetzten Lokomotiven vor, denen zur Unterscheidung damals noch Namen gegeben wurden (bekannt sind z. B. die Loks „Emmer“, „Rehberg“, „Egge“, „Pyrmont“ und „Steinheim“).

Das Empfangsgebäude war als zweigeschossiger Fachwerkbau ausgeführt, der über die üblichen Räumlichkeiten verfügt haben dürfte. Danach waren im Erdgeschoß die Fahrkartenausgabe, das Büro des Bahnhofsvorstehers und die Räume der obligatorischen Bahnhofsgaststätte untergebracht. Daneben gab es, wie bereits weiter oben angesprochen, die Räumlichkeiten für die fürstliche Familie. Im Obergeschoß befand sich die Dienstwohnung des Bahnhofsvorstehers Riekenberg, da Vorstände tunlichst im Bahnhof selbst oder doch zumindest auf dem Bahngelände ihren Wohnsitz zu nehmen hatten.

Einen durchaus beachtlichen Umfang hatten auch die Räume der Post, über deren Verlegung vom Ort Schieder zum neuen Bahnhof hin wegen der großen Entfernung ein ziemliches Tauziehen entbrannte. An Posträumen waren vorhanden das Annahmezimmer, eine Wachtkammer, eine Postkammer sowie der Schaltervorflur. Damit verfügte Schieder über ein durchaus stattliches Empfangsgebäude, das obendrein wegen seiner Ausstattung mit üppigen Schnitzereien auch optisch sehr ansprechend gestaltet war. Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass es in Wuppertal-Mirke ein sehr ähnliches Bahnhofsgebäude wie in Schieder gab (gibt?) und dass das Wartezimmer der fürstlichen Familie zwar von der HAE gebaut, aber durch die lippische Hofkammer ausgestattet wurde. Leider ließ sich nicht mehr feststellen, wann der Güterschuppen errichtet wurde, der sich auf der dem Empfangsgebäude gegenüberliegenden Seite befand. Der Güterschuppen wartete mit der in Lippe einmaligen Besonderheit auf, im Obergeschoß über Wohnräume verfügt zu haben, die bis auf weiteres vom Bahnhofsgastwirt bewohnt wurden. Eine Notwendigkeit, in Schieder Einrichtungen für die Wartung und Unterbringung der Lokomotiven vorhalten zu müssen, bestand wohl wegen der relativen Nähe zu Hameln und zu Altenbeken nicht. Einen Lokschuppen oder einen Wasserturm hat es in Schieder also nie gegeben. Dafür gibt es Hinweise auf Einrichtungen zur Holzverladung, insbesondere für die Abfertigung von Langholz soll sogar ein stationärer Kran zur Verfügung gestanden haben.

Bis auf die Tatsache, dass sich für die Gestaltung der Außenanlagen des neuen Bahnhofes weder die Bahn noch die Gemeinde verantwortlich fühlten (die Bepflanzung übernahm der Bahnhofsvorsteher auf eigene Rechnung!), gibt es zu den ersten Betriebsjahren leider keine historischen Berichte. Etwa 2 ½ Jahre nach seiner Inbetriebnahme erlebte der kleine Bahnhof Schieder seine bis heute wichtigste Stunde, als nämlich am Sonntag, dem 15.08.1875 der kaiserliche Hofzug einfuhr. Anlass dieses allerhöchsten Besuches im kleinen Fürstentum Lippe war die Einweihung des Hermannsdenkmals, die von Kaiser Wilhelm I. im Beisein des lippischen Fürsten vorgenommen wurde. Eine Anreise des Kaisers per Bahn direkt bis nach Detmold war zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da die lippische Landeshauptstadt erst einige Jahre später (1881) eine Gleisanbindung erhielt. Der Überlieferung nach hatte sich auf dem Bahnhof eine große Menschenmenge eingefunden, die dem Kaiser bei seiner Ankunft in Schieder und seiner Weiterfahrt auf der Straße zujubelte. Da der Kaiser mitsamt seinem Gefolge anreiste, wurden aus der gesamten Umgebung Pferdekutschen zum Bahnhof Schieder beordert, damit für alle ausreichend Platz für die Weiterfahrt nach Detmold vorhanden war. Viele Kinder fuhren auf Leiterwagen mit, die dem kaiserlichen Tross ein Stück weit folgten.

Die HAE, die die Schiederaner Strecke plante, baute und dann auch betrieb, ging schon im Sommer des Folgejahres in der Magdeburger-Halberstädter-Eisenbahngesellschaft auf. Aber auch dieser war kein langer Bestand mehr beschieden, da der preußische Staat inzwischen systematisch die privaten Bahngesellschaften verstaatlichte, um eine eigene Staatsbahn, die Königlich Preußische Eisenbahn Verwaltung (KPEV), aufzubauen. Mit der Eingliederung der Halberstädter Eisenbahngesellschaft in die KPEV zum 01.04.1881 war somit das Phänomen aufgetreten, dass die lippische Eisenbahngeschicke fortan vom übermächtigen preußischen Nachbarn gelenkt wurden. Es war deshalb keineswegs verwunderlich, wenn mitten in Lippe die preußische Reichsflagge von den Bahnhofsgebäuden wehte und zudem Schlagbäume und Laternenpfähle im preußischen Schwarz/Weiß gestrichen waren. Beides war übrigens unvermeidlicher Anlass für allerlei Reibereien zwischen Lippe und Preußen.

In der Zwischenzeit hatte Schieder das Privileg verloren, über den einzigen Bahnhof im Fürstentum Lippe zu verfügen, denn seit dem 01.01.1881 bestand eine Stichstrecke, die die Landeshauptstadt Detmold in Herford an die Stammstrecke der Cöln-Mindener-Eisenbahngesellschaft anschloss. Seither verfügten auch Salzuflen, Lage und Detmold über einen Bahnhof, ohne dass sich hierdurch für Schieder nennenswerte Veränderungen ergeben hätten. Dies mag auch als Hinweis darauf zu verstehen sein, wie bedeutungslos die Schiedersche Eisenbahn für Lippe gewesen sein muß, denn von ihr ging keine „Tiefenwirkung“ ins restliche Lipperland aus. Da Schieder jedoch für Ziegler und sonstige Wanderarbeiter ein wichtiger Bahnhof war, könnte die Streckeneröffnung Herford-Lage-Detmold zu einer spürbaren Abnahme der Zahl der hier verkauften Fahrkarten geführt haben. Indessen nahm der Güterumschlag auf dem Schiederaner Bahnhof einen Umfang an, der in den 1880er Jahren die Bestellung eines „bahnamtlichen Spediteurs“ erforderlich machte. Der Weitertransport der in Schieder per Bahn eintreffenden Sendungen zum Empfänger erfolgte damit fortan per Pferdefuhrwerk.

Nicht unterschlagen werden soll hier die Tatsache, dass die KPEV ab Mai 1892 den ersten deutschen D-Zug zwischen Berlin und Köln einsetzte. Dieser befuhr dabei u. a. die HAE-Strecke und kam auf seinem Weg zwischen Hameln und Altenbeken auch durch den Schiederaner Bahnhof. Dem ersten lippischen Bahnhof gebührt daher die Ehre, als einer der ersten deutschen Bahnhöfe überhaupt vom neuen D-Zug-Netz berührt worden zu sein.

Das Beharren der Blomberger auf einen eigenen Eisenbahnanschluss war letztendlich doch noch von Erfolg gekrönt. Nachdem am 18.06. die landespolizeiliche Abnahme stattfand, konnte die Stichstrecke Schieder-Blomberg am 01.07.1897 feierlich eingeweiht werden. Dies war nicht nur für Blomberg ein großes Ereignis, sondern auch für den Bahnhof Schieder, dem man eigens Festschmuck für dieses Ereignis angelegt hatte. Den Feierlichkeiten wohnte Prinzregent Adolf nebst Gemahlin bei. Auch die Kriegervereine und die Feuerwehr hatten sich in Schieder eingefunden, ebenso wie die Krüger`sche Kapelle, die für eine angemessene musikalische Untermalung des Festaktes sorgte.

Der Anschluss Blombergs brachte Schieder ein zweites Gleis ein, da das durchgehende HAE-Hauptgleis für den Verkehr mit Blomberg nicht befahren wurde. In Höhe des Nessenberges zweigte das Blomberger Gleis in nördlicher Richtung von der alten Trasse ab. Wie auch andernorts im Lipperland brachte die Aufnahme des Bahnverkehrs mit Blomberg tief greifende Veränderungen des Postkutschenverkehrs mit sich, da der Blomberger Kurs vollständig eingestellt wurde. Insgesamt brachte die Betriebsaufnahme auf der Blomberger Strecke dem Schiederaner Bahnhof eine gewisse Aufwertung in seiner Bedeutung, nachdem er ein Viertel Jahrhundert Dornröschenschlaf hielt.

In den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende nahm der Gleisumfang des Bahnhofes Schieder deutlich zu, insbesondere die nahe gelegene Essigfabrik bekam einen eigenen Gleisanschluss. Da es nicht länger sinnvoll erschien, ortsbediente Weichen und Signale einzusetzen, wurde auch ein Stellwerksgebäude errichtet und am nahen Bahnübergang ein Schrankenwärterhäuschen. Leider liegen keine Zahlen über die damals beförderten Fahrgäste sowie für den Güterumschlag auf Bahnhof Schieder vor. Es ist aber zu vermuten, dass der 1903 erfolgte Bau der „Skidrioburg“ an der Pyrmonter Straße den Startschuss für die Fremdenverkehrsentwicklung in dem kleinen Ort darstellte. Schieders Funktion als Sommerfrische dürfte damit zu einer steigenden Zahl von Reisenden auf seinem Bahnhof geführt haben. Bahnhofsvorsteher war zu jener Zeit Heinrich Saak, der in dieser Funktion das Privileg genoss, im Bahnhofsgebäude wohnen zu können.

Etwa zur gleichen Zeit war die KPEV damit befasst, unter erheblicher Kostenbeteiligung Lippes das hiesige Bahnnetz zu komplettieren. Nachdem es seit 1896 möglich war, die Strecke Herford-Lage-Himmighausen (Altenbeken) durchgehend zu befahren, sollte diese Nord/Süd-Verbindung um eine Ost/West-Verbindung erweitert werden, wobei sich die beiden Strecken in Lage kreuzen sollten. Die Ost/West-Strecke musste in mehreren Etappen gebaut werden, ab 1904 war sie durchgehend von Bielefeld bis Hameln befahrbar. Auswirkungen für Schieder dürften damit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verbunden gewesen sein.

Ab dem 01.11.1908 ergab sich für den Bahnhof Schieder eine organisatorische Änderung, da er durch die preußische Bahnverwaltung von der Rangklasse III zur Rangklasse IV abgestuft wurde. Den Lippern missfiel diese Maßnahme, denn auch der Bahnhofsvorsteher war damit nur noch ein solcher IV. Klasse, was sich natürlich mit der Bedeutung Schieders als fürstliche Sommerresidenz nur schwerlich vereinbaren ließ. Letztendlich konnte mit der KPEV eine Einigung dahingehend erreicht werden, dass während des Aufenthalts des lippischen Fürsten in Schieder dort wieder ein mittlerer Eisenbahnbeamter Dienst tat, indem man einen solchen kurzerhand von Pyrmont nach Schieder beorderte!

Beim Bau der HAE-Strecke wurden bereits Vorkehrungen für die Verlegung eines zweiten Gleises getroffen. Im Jahre 1914 bestanden Planungen, auch lippische Streckenabschnitte zweigleisig auszubauen, um die Streckenkapazität zu erhöhen. Auch für die Linie Herford-Lage-Himmighausen (Altenbeken) bestanden derartige Absichten, allerdings bereitete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges allen Ausbauabsichten ein schnelles Ende. Verbürgte Informationen über das Eisenbahngeschehen in Schieder während des Ersten Weltkrieges liegen leider nicht vor. Bekannt ist aber, dass die HAE-Strecke wegen ihrer Ost/West-Ausrichtung für Truppen- und Materialtransporte während der Mobilmachung eine große Rolle gespielt hat. Demnach könnten insbesondere zu Beginn und zum Ende des Krieges durchfahrende Militärzüge und Verpflegungsstellen auf dem Bahnsteig zum alltäglichen Bild auf dem Schiederaner Bahnhof gehört haben.

Zwischen den Weltkriegen und die Stunde Null

Der verlorene Krieg brachte Deutschland auch das Ende der Monarchie, die Republik wurde ausgerufen. Dieser allgemeine Umschwung hatte natürlich auch Folgen für Lippe, da Fürst Leopold IV. am 12.11.1919 abdankte. Diese Vorgänge hatten unmittelbare Auswirkungen auf den Bahnhof Schieder, da das Fürstenzimmer im Empfangsgebäude nunmehr (jedenfalls für landesherrliche Zwecke) nutzlos geworden war. Künftiger Nutzer der Räumlichkeiten wurde der Bahnhofswirt, der nun endlich aus seiner beengten Wohnung im Obergeschoß des Güterschuppens ausziehen und fortan im Bahnhofsgebäude selbst unterkommen konnte.

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie oft die Räumlichkeiten für die fürstliche Familie im Bahnhof Schieder in den vorhergehenden 46 Jahren überhaupt genutzt wurden. Besonders intensiv dürfte die Nutzung nicht gewesen sein, da von hier aus wahrscheinlich nicht einmal die Fahrten zwischen der Residenz in Detmold und dem Sommersitz in Schieder durchgeführt wurden (vor 1881 verfügte Detmold ohnehin über keinen Bahnanschluss). Immerhin war es nicht möglich, 3 km egal in welche Richtung zu fahren, ohne lippisches Gebiet zu verlassen. Die Räume dürften damit ein reines Prestigeobjekt ohne wirkliche Funktion gewesen sein.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden die Planungen des zweigleisigen Ausbaues wieder aufgegriffen, obwohl die finanziellen Möglichkeiten der Bahn (ab dem 01.04.1920: Deutsche Reichsbahn) durch die hohen Reparationszahlungen des Reiches überaus begrenzt waren. Während die Strecke Herford-Lage-Himmighausen (Altenbeken) weiterhin eingleisig blieb, wurde die alte HAE-Linie tatsächlich um ein zweites Gleis ergänzt. Die dafür notwendigen Bauarbeiten konnten im Raum Schieder bereits 1922 beendet werden. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestanden seitens der Bahnverwaltung noch einmal Absichten, die von Herford her kommende Strecke mehrgleisig auszubauen, allerdings wurden diese Überlegungen nicht mehr umgesetzt. Damit war Schieder damals der einzige an einer mehrgleisigen Strecke gelegene lippische Bahnhof.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ließen sich mehr und mehr Holz verarbeitende Betriebe in der Nähe des Bahnhofes nieder (Firmen Köster, Schatmeyer und Brand), so dass auch in Schieder der Einfluss der Bahn auf die Ortsplanung spürbar wurde. Für die 1930er Jahre liegen Hinweise für die Erweiterung der eisenbahntechnischen Infrastruktur auf Bahnhof Schieder vor, denn es bestand die Notwendigkeit, im östlichen Bahnhofsgelände in Höhe des Kornspeichers ein Stellwerk zu errichten. Über den Schiederaner Bahnverkehr war 1937 in der Tagespresse nachzulesen, dass zwar der Personenverkehr mit Blomberg etwas abgenommen habe (wegen anderer Verkehrsmittel), der Güterverkehr aber als gut bezeichnet werden könne.

Wie die fürstlichen Räumlichkeiten im Bahnhofsgebäude selbst, so war auch die weitere Nutzung des Schiederaner Schlosses von der Abdankung des Fürsten Leopold im Jahre 1919 direkt betroffen, da es von nun an nicht mehr als Sommerresidenz genutzt wurde. Etwa ab Mitte der 1930er Jahre wurde es zum Erholungsheim für Eisenbahner umfunktioniert. Die Bahn-Sozialwerke (damals als „Eisenbahn-Kameradschaftswerke“ bezeichnet) belegten über viele Jahre hinweg Räume im ehemaligen Schloss, wobei die Belegung vorzugsweise mit Bahnpersonal aus dem Braunschweiger Raum erfolgte. Teilweise wurde das Schloss auch nur als Kinderheim der Deutschen Reichsbahn betrieben. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass in der Nähe des Noltehofes ebenfalls in den 1930er Jahren ein Doppelhaus errichtet wurde, das fortan von Schiederaner Eisenbahnerfamilien bewohnt wurde.

Wie bereits 25 Jahre zuvor bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dürfte die HAE-Strecke auch im Rahmen der Mobilmachung im August/September 1939 von größter Bedeutung gewesen sein. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie wegen ihres inzwischen erfolgten mehrgleisigen Ausbaues über eine große Kapazität verfügte. Im Verlauf des Krieges hat sich auch der über Schieder abgewickelte Bahnverkehr wesentlich verändert, da zu Lasten des Personenverkehrs mehr und mehr Güterverkehr zu bewältigen war. Inwiefern auch Schieder ab etwa 1943 davon betroffen war, dass ganze Industriebetriebe aus dem „luftgefährdeten“ Ruhrgebiet in das verhältnismäßig sichere Lippe verlegt wurden, ist nicht bekannt. Belegt ist allerdings, dass auch Schiederaner Betriebe auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt hatten, die sicherlich zum überwiegenden Teil mit der Bahn transportiert wurden. Für den Bahnhof Altenbeken ist die Zahl von etwa 400 Zügen bekannt, die dort gegen Ende des Krieges täglich abgefertigt wurden. Ein Großteil dieser Züge befuhr sicherlich auch die HAE-Strecke und kam damit durch Schieder. Nach den Erinnerungen von ehemaligen Eisenbahnern verkehrten u. a. täglich zwei Erzzüge; häufig zu beobachten waren aber auch Munitionszüge und Güterzüge, deren Beladung aus Panzern (aus der Produktion von HANOMAG in Hannover) bestand.

Ab etwa 1944 erfolgten mehr und mehr Tieffliegerangriffe, wobei vorrangig Eisenbahnziele mit Bomben und Bordwaffenbeschuss angegriffen wurden. Wegen ihrer strategischen Bedeutung hatten hierunter insbesondere die größeren Bahnhöfe zu leiden, und so wurden auch Hameln und Altenbeken, beide an der HAE-Linie gelegen, schwer getroffen. Auch die Schiederaner Bahnanlagen blieben von Angriffen nicht verschont. So versuchten feindliche Tiefflieger, die Emmerbrücke beim Nessenberg zu zerstören, alle sechs Bomben verfehlten aber ihr Ziel und die Brücke blieb unbeschädigt. Auch der Bahnhof wurde angegriffen. Der schwerste Angriff dieser Art ereignete sich an einem Sonntagmorgen, als zwei amerikanische Jagdbomber vom Typ „Lightning“ aus Richtung Glashütte die Bahnanlagen anflogen und im Tiefflug (etwa 30 m Höhe) jeweils zwei Bomben abwarfen. Zwei Bomben fielen in das Gleis nahe des Stellwerks am Bahnübergang. Der Bahnbedienstete Hartje beobachtete zum Glück den Anflug der beiden Maschinen und suchte unter den nahen Bäumen Schutz. Er blieb unverletzt. Die beiden übrigen Bomben trafen das Wohnhaus an der Ladestraße und zerstörten es zur Hälfte. Zu dieser Zeit befanden sich drei Personen im Haus. Während Heinrich Brinkmann (von den Schiederschen Eisenbahnern „Papa Heinz“ genannt) und dessen Frau mit dem Schrecken davon kam, kam die Ehefrau des Eisenbahners Kruse ums Leben. Kruse selbst tat zu diesem Zeitpunkt auf dem Stellwerk Ost Dienst und hat den Angriff wohl mit angesehen …

Auch Züge wurden unter Bordwaffenbeschuss genommen. So wurde u. a. der zwischen Berlin und Köln verkehrende D-Zug im Bereich zwischen Schieder und Lügde beschossen, woraufhin ein unplanmäßiger Halt in Bad Pyrmont erfolgen musste. Der Nolting`sche Kornspeicher fungierte während des Krieges als Lager für die Wehrmacht. Als großes, bahnnahes Gebäude war er deshalb sehr gefährdet. Um die feindlichen Flieger von ihm abzulenken, wurden in unmittelbarer Nähe Schadloks abgestellt, die die Aufmerksamkeit der Piloten auf sich ziehen sollten. Die Taktik ging auf, die ohnehin schrottreifen Loks wurden etliche Male beschossen, der Kornspeicher aber blieb unversehrt (übrigens entkam er nur knapp der Sprengung durch die zurückweichenden deutschen Truppen). Die durchsiebten Lokomotiven standen noch viele Monate nach Kriegsschluss im Bahnhof Schieder und wurden erst 1946 abgefahren. Wie der Kornspeicher, so überstand auch das Empfangsgebäude selbst den Krieg ohne größere Beschädigungen, obwohl nicht weit davon entfernt, beim „Deutschen Haus“ heftige Kämpfe tobten und dort Häuser durch Panzerbeschuss in Flammen aufgingen.

Über die „Stunde Null“ am Bahnhof Schieder ist leider nichts bekannt. So wissen wir z. B. nicht, wie sich der Bahnverkehr bis zum Kriegsende im Mai 1945 darstellte und wie dessen Entwicklung in den ersten Monaten und Jahren danach aussah. In erster Linie dürfte es darum gegangen sein, Strecken, Rollmaterial und zerstörte Infrastruktur in den größeren Bahnhöfen wieder in Ordnung zu bringen. Bekannt ist lediglich, dass der Amtliche Taschenfahrplan der Reichsbahndirektion Hannover gültig ab 12.09.1945 auf der Kursbuchstrecke 212 zwischen Altenbeken und Hameln täglich nur zwei Züge vorsah. In Schieder konnte man morgens um 05.38 h und nachmittags um 15.25 h zusteigen. Allerdings mussten sich Reisende in Richtung Hameln auf einen kleinen Fußmarsch einrichten, da die Strecke zwischen Emmerthal und Hagenohsen wegen der gesprengten Weserbrücke nicht befahrbar war. Die Stichbahn nach Blomberg (Kursbuchstrecke 212b) wurde im Herbst 1945 noch nicht wieder bedient, der Fahrplan wies keine Züge aus. Der einzige bekannte Bildbeleg der Schiederaner Eisenbahn aus der frühen Nachkriegszeit zeigt denn auch einen bunt zusammen gewürfelten Wagenpark, der von einer ehemaligen preußischen Dampflok der Reihe P 8 mit Wannentender aus der Kriegszeit an Glashütte vorbei in Richtung Lügde gezogen wird.

Wirtschaftswunder, Niedergang und Perspektive

Der sich bereits Mitte der 1930er Jahre abzeichnende Rückgang der Fahrgastzahlen auf der Blomberger Stichstrecke erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen noch größeren Einbruch. Die Einstellung der Personenbeförderung im Jahre 1953 war nur die logische Folge dieser Entwicklung. Etwa zur gleichen Zeit konnte auf der alten HAE-Strecke, und damit auch in Schieder, das Neueste beobachtet werden, was die noch junge Deutsche Bundesbahn an Fernreisezügen zu bieten hatte, nämlich den Triebzug „Komet“. Dieser luxuriöse und moderne Zug war im internationalen Fernverkehr mit der Schweiz eingesetzt, Schieder durchfuhr er allerdings ohne Halt. Eine kleine Ausnahme gilt für eine Begebenheit, bei der sich das Signal wegen eines technischen Defektes nicht auf „Fahrt“ ziehen ließ und der Komet deshalb eine halbe Stunde im Schiederaner Bahnhof stehen musste. Übrigens wurde am Ende so heftig am Stellhebel gezogen, dass das zum Signal führende Drahtseil abriss. Schieder gehörte damit zu den wenigen lippischen Bahnhöfen, die vom internationalen Fernreiseverkehr wenigstens berührt wurden (daneben gab es vor dem Ersten Weltkrieg eine von einer holländischen Gesellschaft betriebene Linie mit Zusteigehalt in Detmold, die über Löhne bis Hoek van Holland an der holländischen Nordseeküste führte).

Unterdessen konnte das Schiederaner Empfangsgebäude auf eine fast 90jährige Geschichte zurückblicken. Schon seit langer Zeit zeigte sich die Notwendigkeit, das alte Gebäude an die sich verändernden Verhältnisse anpassen zu müssen. So wurde das Bahnhofsgebäude im Jahre 1960 von Grund auf renoviert und teilweise umgebaut. Im gleichen Jahr konnten die Schiederaner Schalterbeamten rund 26.800 Fahrkarten verkaufen.

Sicherlich keine Fahrkarte benötigte der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke (Amtszeit 1959 bis 1969), als dieser 1964 in Schieder Urlaub machte und dafür mit einem Sonderzug anreiste. Der Zug war eine Woche lang am Bahnhof Schieder (an der Ladestraße) abgestellt, allerdings wurden von hier aus zwei Fahrten unternommen. Herr Bundespräsident Lübke bevorzugte es, während der gesamten Zeit auch im Zug zu wohnen und nicht etwa im Ort selbst. Während seines Aufenthaltes in Schieder war der Bereich um den Sonderzug vollständig abgesperrt, so dass die damaligen Bewohner des Hauses an der Ladestraße eine schriftliche Erlaubnis zum Betreten ihres Hauses vorzeigen mussten. Dienstvorsteher des Bahnhofes war zu dieser Zeit übrigens Bundesbahninspektor Schönwald. Gepäck und Expressgut wurde damals immerhin noch zwischen 05.35 h und 22.50 h abgefertigt. Ebenfalls im Jahre 1964 erschien das von der Gemeindeverwaltung herausgegebene und von Walter Schmidt zusammengestellte Buch „Schieder“, das ein umfangreiches Kapitel über die Schiederaner Eisenbahn enthält. Was die „Frühgeschichte“ der lippischen Eisenbahn angeht, ist dieses Werk bis heute die wichtigste Publikation überhaupt.

Wie rückläufig der Personenverkehr zur Zeit des Wirtschaftswunders war, lässt sich an der Zahl der verkauften Fahrkarten ablesen, die 1965 nur noch 23.000 betrug. Innerhalb von fünf Jahren ergab sich somit ein Rückgang von etwa 15 %! In das Jahr 1965 fiel auch die Gründung der Fa. Schieder-Möbel im bahnnahen Bereich. Dieses Unternehmen sollte sich später auf dem Gebiet des Wagenladungsverkehrs zum größten Kunden der Deutschen Bundesbahn in Schieder entwickeln und später auch einen eigenen Gleisanschluss erhalten. Wegen drastisch zurückgegangenen Zahlen im Bereich der Stückgut- und Expressabfertigung wurde der Güterbahnhof im Folgejahr stillgelegt. Der Abriss erfolgte 1970, nur zwei Jahre vor seinem 100. Geburtstag. Zwei Jahre zuvor wurde die Bahnhofswirtschaft von Herrn Hensel (der die Wirtschaft von Johann Dreyer übernahm) auf die Eheleute Albrecht übertragen, die die Gastronomie dort bis 1970 führten. Die Räume der Bahnhofsgaststätte wurden dann bis 1974 vom ortsansässigen Kanu-Club benutzt.

Mit der Großgemeindebildung brachte das Jahr 1970 ein einschneidendes kommunalpolitisches Ereignis mit sich. Im Zuge dieser Gebietsreform wurde u. a. das benachbarte Lügde dem Kreis Lippe zugeschlagen, mit der Folge, dass Lippe nunmehr über einen zweiten Bahnhof an der historischen HAE-Strecke verfügte und sich der lippische Streckenanteil daran um einige Kilometer vergrößerte.

Die Zahl der in Schieder verkauften Fahrkarten war weiterhin rückläufig, denn 1971 konnten nur noch 19.000 Karten abgesetzt werden. Innerhalb von zehn Jahren bedeutete dies ein Minus von fast einem Drittel. Das Jahr 1971 war für die hiesige Eisenbahn von besonderer Bedeutung, da der elektrische Fahrdraht jetzt auch Lippe erreicht hatte. Die Einweihung der durchgehend elektrifizierten HAE-Strecke wurde am 01.10.1971 mit der Fahrt eines von einer Elektrolok gezogenen Sonderzuges gebührend gefeiert. Der Zug, in dem auch der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber saß, hielt auch kurz in Schieder. Dem ersten lippischen Bahnhof wurde damit auch die Ehre zuteil, neben dem erst kurz zuvor zu Lippe gekommenen Lügde, als erster Bahnhof im Kreisgebiet an einer elektrifizierten Strecke zu liegen.

Im gleichen Jahr wurden in Schieder 614 Wagenladungen abgefertigt, etwa 70 Waggons davon entfielen auf das Getreidelager Nolting. Für den kleinen Ort Schieder dürfte es sich dabei schon um eine beträchtliche Menge gehandelt haben, im Quervergleich gesehen nimmt sich diese Zahl aber doch eher bescheiden aus (am Knotenpunktbahnhof Lage wurden ca. 22.000 Waggons pro Jahr abgefertigt). 1972 erfolgte dann der Abriss des alten Weichenstellerhauses an der Ladestraße.

Nachdem der Kanu-Club das Bahnhofsgebäude wieder verließ, betrieben wieder Herr und Frau Albrecht die Gastronomie (1975 bis 1980). Obwohl das Bahnhofsgebäude erst 15 Jahre zuvor gründlich renoviert und umgebaut worden war, so waren doch die Tage dieses historischen Gebäudes längst gezählt. Ab 1975 bestanden nämlich bei der Deutschen Bundesbahn Planungen, das alte Gebäude durch ein neues, moderneres zu ersetzen. Dabei schwebte der Bahn ein Empfangsgebäude vor, wie es bereits in Mehle, einem Ortsteil von Elze vor den Toren Hannovers, existierte.

Ab 1977 verkehrten auf bundesrepublikanischen Gleisen keine Dampflokomotiven mehr; Elektro- und Dieselloks bespannten jetzt die Züge. Zu diesem Zweck wurde auch die Streckenelektrifizierung vorangetrieben, die zusätzlich zur HAE-Strecke auch die lippische Nord/Süd-Strecke erreicht hatte, auf der ab 1975 auch Elloks anzutreffen waren.

Anfang 1978 befürchtete der damalige aus Schieder stammende Landtagsabgeordnete August Brannolte um den Weiterbestand des Schiederschen Bahnhofes. Durch den seinerzeitigen Verkehrsexperten der SPD-Bundestagsfraktion Erhard Mahne um Stellungnahme gebeten, ließ die Bundesbahndirektion Hannover wissen, dass nach dem gegenwärtigen Planungstand für Schieder nach wie vor Halte von Eil- und Nahverkehrszügen vorgesehen seien; auch gebe es weiterhin einen Fahrkartenverkauf, eine Gepäckabfertigung und auch die Abfertigungsbefugnis für den Wagenladungsverkehr; darüber hinaus seien bis 1981 erhebliche Investitionen vorgesehen. Der Neubau eines Empfangsgebäudes rückte damit also in greifbare Nähe. Die langjährigen Planungen wurden dann auch zügig umgesetzt. Damit der Betrieb ohne nennenswerte Einschränkungen weiterlaufen konnte, blieb das alte Gebäude noch bestehen, während unmittelbar daneben (quasi Mauer an Mauer) das neue entstand. Mit der Inbetriebnahme des neuen Gebäudes „Schf“ (Schieder Fahrdienstleiter) im Jahre 1982 war der alte Bahnhof funktionslos geworden und wurde 110 Jahre nach seiner Errichtung abgerissen. Vorausgegangen war ein erfolgloser Versuch der Deutschen Bundesbahn, das historische Gebäude an einen Interessenten zu verschenken, damit es woanders als Privatgebäude wieder hätte aufgebaut werden können. Leider fand sich niemand, der sich für dieses Angebot begeistern konnte, wären doch für den „geordneten Rückbau“, Abtransport und Wiederaufbau enorme Kosten entstanden.

Die ursprüngliche Grundfläche des alten Bahnhofes ist heute noch gut zu erkennen, sie dient als unbefestigter Pkw-Parkplatz. Allerdings ist nicht alles, was zum alten Bahnhof gehörte, verschwunden. Wer das heutige Gebäude von der Straßenseite betritt und einen Blick unter den großen Dachüberstand wirft, wird dort eine der Schnitzereien entdecken, die so zahlreich einst den alten Bahnhof schmückten. Darüber hinaus sind möglicherweise auch noch die alten, damals zur Gaststätte gehörenden Kellerräume vorhanden, die vielleicht nur verfüllt aber nicht beseitigt wurden.

Zwischen dem Empfangsgebäude und dem Parkplatz befindet sich heute zur Ausschmückung des Bahnhofsvorplatzes ein zweiflügeliges Formsignal in niedriger Bauart („Zwergsignal“). Es ist anzunehmen, dass dieses Signal ursprünglich auf Bahnhof Schieder stand, ehe es zu einem leider unbekannten Zeitpunkt den modernen Lichtsignalen weichen musste. Dass Schieder zu den ersten lippischen Bahnhöfen gehörte, auf denen Lichtsignale eingeführt wurden, ist zwar nicht belegt, aber doch recht wahrscheinlich.

Durch Aufstauen des Flüsschens Emmer entstand im Jahre 1983 der sog. SchiederSee, eine etwa 90 ha große Fläche für Wassersport, Erholung und Freizeit, an deren Nordseite die HAE-Strecke entlang führt. Wenngleich der Uferbereich bei Glashütte doch recht nahe an die Bahntrasse heran reicht, war es nicht notwendig, den Streckenverlauf wegen des Sees zu korrigieren. Seit seiner Anlegung lag der Bahnhof Schieder weit vor der Stadt. Während andernorts die Bebauung im Laufe der Jahrzehnte immer mehr in Richtung Bahnhof hin erfolgte und diesen dann oft regelrecht umschloss (z. B. Lemgo, Lage, Detmold), verblieb es in Schieder bei der isolierten Lage des Stationsgebäudes. Die Gastronomie am Seeufer sowie die hier verlaufenden Wanderwege vermitteln inzwischen etwas mehr „Kontakt“ zwischen dem Bahnhof und dem Ortskern, als dies noch vor Anlegung des Sees der Fall war.

1987 befuhr das letzte Mal ein Zug die ehemalige Stichstrecke nach Blomberg. Kurz darauf wurden die Gleise vom alten Bahnhof Blomberg bis zum Abzweig Noltehof entfernt. Die ehemalige Bahntrasse dient heute als Radwanderweg, der wegen seiner Führung abseits der Straße seine Reize hat. Nach dem Ausbau und der Begradigung der Bundesstraße 239 zwischen dem Nessenberg und dem Ortseingang Schieder ergab sich ein deutlich nach Osten verschobener Kreuzungspunkt zwischen der Straße und den HAE-Gleisen. Auch Bahnschranken gibt es dort nicht mehr, da die Straße seit ihrem Ausbau kreuzungsfrei über die Bahntrasse hinweg geführt wurde. Die langen Schrankenschließzeiten, die den Unmut ungezählter Autofahrer hervorriefen, gehörten fortan der Vergangenheit an.

Der Jahrtausendwechsel war für viele lippische Stationen durch Vernachlässigung der Bausubstanz gekennzeichnet, da weder die Bahn noch die betreffenden Kommunen ein wirkliches Interesse daran hatten, Bahnhof und Umfeld wieder „auf Vordermann“ zu bringen. Lippe machte hier nicht etwa eine Ausnahme, denn dieses Problem bestand (besteht) landesweit. Auf Initiative der NRW-Landesregierung wurde aus diesem Grunde das Programm „100 Bahnhöfe in NRW“ aufgelegt, mit dessen Hilfe die Zukunft ausgewählter nordrhein-westfälischer Bahnhöfe gesichert werden sollte. Zusammen mit drei weiteren lippischen Stationen wurde auch der Schiederaner Bahnhof in dieses Projekt aufgenommen. Bei Vorlage tragfähiger Nutzungskonzepte durch Investoren war es nun möglich, Landesmittel in beträchtlicher Höhe abzurufen. Warum Schieder letztlich nicht zum Zuge kam, ist nicht bekannt. Welche Möglichkeiten bestanden hätten, lässt sich heute beispielsweise am rundherum renovierten Lagenser Gebäude ablesen, das Dank privaten Engagements den Sprung vom Schandfleck zum städtebaulichen Schmuckstück schaffte.

Beim Studium der Lippischen Landeszeitung konnte man sich im November 2004 verwundert die Augen reiben, denn nach einem Bericht dieser Zeitung trug sich die Bahn mit dem Gedanken, das Bahnhofsgebäude zu schließen und unter Verlegung in Richtung Bahnübergang zu einem unbesetzten Haltepunkt umzuwandeln. Verändert hat sich seither nichts, wobei nicht klar ist, ob die Bahn ihre Planungen fallen gelassen hat oder ob nur keine weiteren Details mehr an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Aus Anlass des 125jährigen Jubiläums der Strecke Herford-Lage-Detmold gestalteten die Eisenbahnfreunde Lippe e. V. eine große Fotoausstellung zur Geschichte der hiesigen Eisenbahn. Selbstverständlich waren hierbei auch Motive aus Schieder zu sehen. Besonders hingewiesen wurde dabei auf den alten, seit Jahren verfallenden Schuppen, der abseits des Parkplatzes etwas verborgen inmitten des dortigen kleinen Kastanienwäldchens steht. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte dieser Schuppen zum alten Empfangsgebäude und dürfte mit diesem zusammen 1872 errichtet worden sein. Sollte sich diese Vermutung belegen lassen, dürfte es sich hierbei um das älteste noch vorhandene Bahngebäude im Kreis Lippe handeln. Dass dieser Gesichtspunkt auch denkmalschutzrechtlich von größter Relevanz ist, versteht sich von selbst, auch wenn der Schuppen seither nicht nur durch die Bahn (als beheizter Aufenthaltsraum für das Rottenpersonal), sondern auch als Schweinestall und Garage benutzt wurde.

Bis vor wenigen Jahren verkehrten auf den HAE-Gleisen, wie auch auf der lippischen Nord/Südstrecke, die allgegenwärtigen Einheits-Elektrolokomotiven der Baureihe 141, die typischerweise sog. „Silberlinge“ als Reisezugwagen am Haken hatten. Die wegen ihrer Schaltgeräusche von den Eisenbahnfans „Knallfrosch“ getauften Elloks gehören schon seit ein paar Jahren der Vergangenheit an. Einzug gehalten haben stattdessen die von den Fans abwertend „Cola-Dose“ genannten neuen S-Bahn-Triebzüge der Baureihe 425, die heute das Bild des Schiederaner Personenverkehrs bestimmen. Die Höhe der Bahnsteigkanten müsste dringend an die Höhe der Ausstiege der Triebwagen angepasst werden, wenn das Ein- und Aussteigen nicht so beschwerlich bleiben soll, wie bisher. Überhaupt gibt es am Bahnhof Schieder einiges in Ordnung zu bringen, um ihn wieder schön und einladend zu gestalten. Dank des unermüdlichen Einsatzes des Schiederaners Herrn Wolfgang Fiedler ist hier (auch in Zusammenarbeit mit der Bahn und der Stadtverwaltung) in den letzten Monaten viel Positives geschehen.

Die historische Dimension der Schiederschen Eisenbahn für das Land Lippe ist ganz unumstritten. Sie ist es wert, ab und zu in Erinnerung gerufen zu werden. Leider sind es ausschließlich Bahninteressierte, die sich dieses Themas annehmen, wie z. B. die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte durch Herausgabe des Kalenders 2006 „Mit der Hannover-Altenbekener (HAE) fing es an …“ oder das neue, wunderschöne Buch von Garrelt Riepelmeier über die lippische Eisenbahngeschichte, in dem auch Schieder gebührend behandelt wird. In die Aufzählung mit einreihen lässt sich auch der vorliegende Beitrag, der ausschließlich aus privater Initiative zustande kam. Zu wünschen wäre, dass die Geschichte und die Verdienste der hiesigen Eisenbahnen künftig auch von „offizieller Stelle“ aufgegriffen werden mögen, damit Jubiläen wie das diesjährige nicht einfach in Vergessenheit geraten.

Soppa, Konrad (2007), DER BAHNHOF SCHIEDER 1872 – 2007. Eine Chronik in Wort und Bild

Konrad Soppa