Auf Grund eines aktuellen Anlasses hat sich ein Mitglied unseres Vereins mit der Geschichte der Sommerzeit und dem Zusammenhang mit der Eisenbahn näher befasst und dazu den folgenden Artikel verfasst, der bereits im “Monatsblatt” unseres Vereins (Ausgabe 10, Oktober 2018, Seite 5 ff.) veröffentlicht wurde.
Die Bürger der EU wurden im Internet befragt, ob sie die Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit weiterhin wollen. Die Teilnahme war gering, weniger als 1% der Berechtigten, aber das Votum war eindeutig für eine Abschaffung der Zeitumstellung. Der Präsident der europäischen Kommission hat angekündigt, den Wunsch derer, die sich beteiligt hatten, um zu setzen. Was steht uns nun bevor, ganzjährig die Mitteleuropäische Zeit, fälschlich auch „Winterzeit“ genannt oder ganzjährig die Mitteleuropäische Sommerzeit. Und was hat das mit der Eisenbahn zu tun?
Als Grund für eine einheitliche Zeit in ganz Deutschland wird oft das Bedürfnis der Eisenbahn angegeben. Das ist nur teilweise richtig, die Länderbahnen gingen da zunächst eigene Wege. Erst am 12. März 1893 wurde im Reichsgesetzblatt verkündet, dass die „mittlere Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich von Greenwich“ die gültige Zeit im ganzen Deutschen Reich ist.
Die „Ortszeit“ ist dadurch definiert, dass der Zeitpunkt, an dem die Sonne an einem Ort im Zenit steht als 12:00 Uhr festgesetzt wird. Der Zeitraum bis zum nächsten Höchststand der Sonne wird dann in 24 Stunden eingeteilt, jedenfalls in einer für die Praxis brauchbaren Näherung. Die genaue Definition einer Sekunde, die mit 3600 multipliziert eine Stunde ergibt, führt zu einer Abweichung, die im täglichen Leben keine Rolle spielt und uns hier nicht näher zu interessieren braucht. Am besten bestimmt man den Zeitpunkt von 12:00 Uhr also mit einer Sonnenuhr und die liefert an jedem Ort die Ortszeit und nur Orte auf demselben Längengrad haben dieselbe Ortszeit. Und weil die Erde sich in 24 Stunden um 360° dreht, haben Orte, die sich um 15 Längengrade unterscheiden (360°:24=15°) eine Differenz der Ortszeit von 1 h.
Diese Unterschiede von Ort zu Ort waren den Menschen völlig egal aber für die Organisation von Eisenbahnfahrplänen und die Dokumentation der Zugfahrten war das nicht akzeptabel. So erklärte zunächst jede Bahn die Ortszeit ihrer Zentrale für verbindlich. Die Bahnhöfe hatten Uhren, viele Menschen nicht und so setzte die Bahnhofsuhr den Standard. Im Ergebnis ging plötzlich eine Sonnenuhr in Cöln „falsch“, nämlich mehr als 20 Minuten nach, denn die CME[1] fuhr durch Preußen und für Bahnen in Preußen galt ab 1848 Berliner Zeit. In Tilsit, heute Sowjetsk[2], ging die Sonnenuhr mehr als 30 Minuten vor. Die Bayerischen Bahnen hatten sogar 2 Zeiten, zunächst natürlich die Ortszeit von München, nur für die Pfalzbahn[3] war Ludwigshafen zuständig. Ein Kuriosum war Nördlingen, Grenzbahnhof in Bayern nach Württemberg. Dort gab es nicht nur eine bayerische und eine württembergische Toilette, sondern auch Uhren mit Münchener Zeit und solche mit Stuttgarter Zeit. Die Züge der jeweiligen Länderbahn fuhren natürlich nach ihrer Zeit, also die württembergischen etwa 10 Minuten nach den bayerischen bei gleicher Abfahrtszeit im jeweiligen Fahrplan.
Die Festlegung der gemeinsamen Zeit für ganz Deutschland war damals geographisch sinnvoll. Ausgehend vom 0-Meridian durch die alte Sternwarte von Greenwich sind die Zeitzonen jeweils 15 Längengrade breit und durch die Mitten der Zonen laufen die Längengrade 0, 15, 30, 45 usw. , West wie Ost. Die deutsche Zeitzone reicht also von 7,5° Ost bis 22,5° Ost und überdeckt das Gebiet des damaligen deutschen Reiches recht gut. Aachen liegt ungefähr auf 6° Ost und Tilsit ungefähr auf 22° Ost. Blickt man heute auf eine Karte, so findet man Görlitz auf 15° Ost, also die Ostgrenze des Landes auf der Mitte der Zeitzone. Dortmund liegt ungefähr auf 7,5° Ost und damit auf dem westlichen Rand der Zeitzone. Das Rheinland gehört geographisch in die westeuropäische Zeitzone UTC (Universal Time Coordinated[4]). Es ist natürlich nicht sehr sinnvoll, in relativ kleinen Ländern verschiedene Zeitzonen einzurichten.
Ein Blick auf eine Zeitzonenkarte zeigt, dass auch die Benelux-Staaten, Frankreich und Spanien MEZ (Mitteleuropäische Zeit) haben. In Portugal gilt UTC, obwohl das Land geographisch UTC – 1h haben müsste. Mein alter Schulatlas von 1958 weist Frankreich und Spanien WEZ (Westeuropäische Zeit), wie damals UTC auch genannt wird, zu. Wikipedia nennt als Datum und Begründung der Umstellung in Frankreich und Benelux die deutsche Besatzung 1940. Auch Spanien hat demnach 1940 die Zeitzone gewechselt. Dass die Wehrmacht in ihrem Machtbereich dieselbe Zeit haben wollte, ist verständlich. Aber warum sind sind Frankreich und Benelux nach der Befreiung nicht zur alten Zeit zurück gekehrt und warum hat Spanien die Zeitzone gewechselt? Was ist daran attraktiv eine Zeitzone zu übernehmen, die weiter in den Osten gehört?
Die Auswirkung einer solchen Verschiebung ist zunächst, dass die Sonne nicht um 12 Uhr, sondern später im Zenit steht, entsprechend später auf- und wieder untergeht. In Westspanien macht das 2h aus, gilt dort Sommerzeit, sogar 3h. Es ist entsprechend morgens länger dunkel und abends länger hell. Das sollte zu einer Energieeinsparung führen, wenn man im Sommer wenn die Sonne früh aufgeht, die Uhren vorstellt. Morgens ist es sowieso schon hell und abends nutzt man die längere Helligkeit ohne zusätzlichen Energieverbrauch aus. Das schlug schon Benjamin Franklin 1784 vor. Erstmals ausprobiert wurde das dann zu einer Zeit, als der Energieverbrauch sehr groß war, im 1. Weltkrieg. 1916 führte das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn als Erste die Sommerzeit ein. Die Uhren wurden am 30. April 1916 um 23:00 Uhr MEZ eine Stunde vorgestellt und am und am 1. Oktober 1916 um 01:00 Uhr MESZ wieder zurück. Die anderen am Krieg beteiligten europäischen Staaten folgten dem Beispiel. Ob wirklich Energie eingespart wurde, wurde zumindest in Deutschland nicht untersucht. 1919 wurde die Sommerzeit in Deutschland und den meisten anderen Ländern in wenigen Jahren danach wieder abgeschafft. Beibehalten blieb sie in England bis in die 30er Jahre. In der Sowjetunion wurde 1930 in allen Zeitzonen des Landes die Uhren eine Stunde vorgestellt, aber nicht mehr zurück. Dort gilt also seit 1930 eine ganzjährige Sommerzeit, also dieselbe Situation wie in Frankreich und Spanien, die Sonnenuhren gehen eine Stunde nach.
Im 2. Weltkrieg wurde wieder viel Energie verschwendet und man erinnerte sich an eine schon früher nicht sehr effiziente Maßnahme. Ab 1940 gab es im Deutschen Reich wieder die Sommerzeit und 1947 in dem Gebiet, das vom Deutschen Reich übrig geblieben war, sogar eine „Hochsommerzeit“. Die Uhren wurden dabei 2h vorgestellt. 1949 war damit zunächst Schluss, auch andere europäische Staaten beendeten nach und nach die Sommerzeit.
Mit der Ölpreiskrise 1973 wurde die Sommerzeit wieder akut und in Deutschland 1980 eingeführt. Diesmal wurde allerdings die Energiebilanz untersucht und man berechnete nach 10 Jahren eine Einsparung von 0,01% des durchschnittlichen Verbrauches.
Was macht dennoch die Sommerzeit so attraktiv und warum haben sich bei der Befragung durch die EU die Deutschen überproportional an der Abstimmung beteiligt? Um das zu beantworten, muss man ein weiteres Phänomen untersuchen: Die Dämmerung.
Ist die Sonne hinter dem Horizont verschwunden, strahlt sie noch die Luftschichten über uns an und von dort fällt das Licht wieder auf unseren Standort. Das selbe gilt für die Zeit, bevor die Sonne über dem Horizont erscheint. Bis zu einem Winkel von 6° unter dem Horizont bleibt es so hell, dass man im Freien viele Tätigkeiten ohne künstliches Licht ausführen kann, anfänglich sogar lesen. Dieser Abschnitt wird als „Bürgerliche Dämmerung“ bezeichnet. Bis 12° spricht man von „Nautischer Dämmerung“ und bis 18° von „Astronomischer Dämmerung“. Diese Phasen sollen aber hier nicht weiter interessieren. Je weiter ein Ort vom Äquator entfernt ist, bzw. dem Breitenkreis über dem die Sonne im Zenit senkrecht steht, desto flacher ist die Sonnenbahn, also die Dämmerung länger. In südlichen Ländern (wir betrachten nur die Nordhalbkugel) ist die den hellen Abend verlängernde Dämmerung also kurz, nach Sonnenuntergang ist es fast schlagartig dunkel. Im Norden haben wir dagegen die „weißen Nächte“ oder es geht sogar die Abend- in die Morgendämmerung über. In beiden Fällen haben wir einen geringen bis gar keinen Effekt der Tagesverlängerung durch die Sommerzeit. Im Süden kommt noch hinzu, dass die Erwärmung durch die Sonne stärker ist und das öffentliche Leben oft zur Mittagszeit mit der „Siesta“ einschläft. Die Sommerzeit verlängert da den halbwegs kühlen Vormittag und somit die zur Verfügung stehende Arbeitszeit. Das könnte die Entscheidung der Länder im Südwesten Europas für die zeitliche Ostverschiebung erklären.
Bei der Einführung der Sommerzeit für alle Länder der EU war das Argument wichtig, eine gemeinsame Zeit würde den grenzüberschreitende Verkehr fördern. Das erscheint mir nicht sehr stichhaltig. Dazu braucht man nur eine interne Referenzzeit, die von allen genutzt wird, ohne die jeweiligen örtlich geltenden Zeitzonen zu beachten. Der Luftverkehr basiert intern auf UTC, auch wenn die Maschine von Shanghai nach Los Angelas fliegt. So macht es auch die Eisenbahn in Russland. Intern gilt Moskauer Zeit, die angezeigten Fahrpläne in den Bahnhöfen sind in der Zeit der jeweiligen Zone angegeben, oft mit Moskauer Zeit dazu. Die Bahnhofsuhren zeigen nach außen, zur Stadt hin, die lokale Zeit, auf den Bahnsteigen Moskauer Zeit. China ist da ganz radikal, im ganzen Land gilt die Pekinger Zeitzone. Das führt im äußersten Westen zu einer Verschiebung von -3h gegenüber der örtlichen Sonnenzeit. In der Amur-Provinz[5] im Nordosten des Landes haben wir +1h. Das ist allerdings die einzige größere politische Einheit, die ich auf der Zeitzonenkarte gefunden habe, die zeitlich nach Westen verschoben wurde. Zeitlich nach Osten verschobene Gebiete gibt es dagegen, wie aufgeführt mehrere.
Es scheint also attraktiv zu sein, im Sommer früher auf zu stehen um einen längeren Zeitraum nach der Arbeit bei Sonnenlicht zu genießen. Dabei lügt man sich natürlich ein wenig selbst in die Tasche. Vieles ist außerdem nur Gewohnheit. 1979, als in den meisten westeuropäischen Ländern die Sommerzeit galt, in Deutschland aber aus Rücksicht auf den Bahnverkehr in Berlin nicht[6], kam es zu einer interessanten Koordinierung der Tagesabläufe in Deutschland und den Niederlanden, wie ich beobachten konnten. Da gingen plötzlich die Kinder beiderseits der Grensstraat / Grenzstraße[7] gleichzeitig zur Schule, die einen um 9 Uhr, die anderen um 8 Uhr. Auch die Geschäfte öffneten auf beiden Seiten der Grenze gleichzeitig aber zu verschiedenen Uhrzeiten. Das ist natürlich längst Geschichte. In Deutschland öffnen Läden, sofern sie nicht Brötchen verkaufen selten noch vor 9 Uhr. Am Schulbeginn hat sich allerdings nichts geändert. Wir werden uns sicherlich auch an die dauernde Sommerzeit, die ja eigentlich OEZ (Osteuropäische Zeit) heißen müsste, gewöhnen. Das schaffen die Spanier und Franzosen, deren Uhren ja immer eine bis zwei Stunden vorgehen schließlich auch. Unter anderen gelingt das auch dadurch, dass man den Tag einfach später beginnt, die langen, dunklen Wintermorgen einfach verschläft.
[1] CME: Cöln-Mindener-Eisenbahn
[2] Russland, Oblast Kaliningrad
[3] Die Pfalz war damals bayerisch (Bayern linksrheinisch)
[4] UTC ist die Bezugszeit für alle anderen Zeitzonen. Letztere werden durch die Differenz zu UTC bestimmt.
[5] Chinesisch 黑龙江, schwarzer Drachenfluss
[6] Die DDR und damit die Deutsche Reichsbahn waren zunächst nicht bereit, sich an der Sommerzeit zu beteiligen
[7] Diese Straße trennt das niederländische Kerkrade von deutschen Herzogenrath, die Grenze verläuft in Straßenmitte, dort stand früher ein Zaun.
Friedhelm Rakowsky