120 Jahre Bahnhof Ehlenbruch

Am 1. Oktober 1903 fuhr zwischen Oerlinghausen und Lage der erste planmäßige Zug, der Lückenschluss zwischen Oerlinghausen und Bielefeld erfolgte im Jahr darauf. Wir dürfen annehmen, dass zeitgleich mit dem Streckenbau auch das Ehlenbrucher Bahnhofsgebäude entstand. Demnach können wir in ein paar Tagen dessen 120. Geburtstag feiern. Dies ist Grund genug, auf seine wechselvolle und interessante Geschichte zurückzublicken.

Das Empfangsgebäude sowie das nahe gelegene Wohnhaus des Bahnhofsvorstandes wurde auf dem Gelände der damaligen Gemarkung Ehlenbruch errichtet, weshalb die Station durch die Bahnverwaltung den Namen „Ehlenbruch“ erhielt. Heute liegt das Gebäude im Lagenser Ortsteil Kachtenhausen.

Eine der ältesten zeichnerischen Darstellung des Bahngeländes in Ehlenbruch zeigt ein Katasterplan um 1910. (Foto: Konrad Soppa)
Eine der ältesten zeichnerischen Darstellung des Bahngeländes in Ehlenbruch zeigt ein Katasterplan um 1910. (Foto: Konrad Soppa)

Der Bahnhof Ehlenbruch wurde unter der Regie der seinerzeitigen preußischen Eisenbahnverwaltung errichtet, deren Geschicke auf lippischem Gebiet von der Direktion Hannover aus gelenkt wurden. Die preußische Bahn war für ihre Sparsamkeit bekannt; aber auch für ihren wirtschaftlichen Erfolg. Eines ihrer Geheimnisse lag in der weitgehenden Anwendung von sog. „Typenbahnhöfen“ für Neubauten, also von vorgefertigten Standard-Bauentwürfen, die als Garant für schnelles und preiswertes Bauen galten. Auch Ehlenbruch war ein derartiger Typenbahnhof, sein Ebenbild stand 1,8 Strecken-Kilometer weiter in Helpup (eine weitere Doublette dieser Art in Lippe waren übrigens die Empfangsgebäude in Remmighausen und Leopoldstal). Die Frontalansicht des Ehlenbrucher Gebäudes dominiert ein 2geschossiger Mittel-Risalit, der die übrigen Gebäudeteile deutlich überragt. Die Bahnverwaltung errichtete das Ehlenbrucher Gebäude als teilunterkellerten Fachwerkbau mit ausgemauerten Gefachen.

Das Gebäude selbst besteht aus zwei Hauptteilen. Einerseits aus dem ehemaligen Empfangsgebäude mit den üblichen Dienst- und Warteräumen und andererseits aus dem sich in östliche Richtung direkt anschließenden Güterschuppenbereich mit einem überdachten Abfertigungsbereich und einer Freiladerampe. Zum Ehlenbrucher Bahnhofsgebäude gehörte ferner ein separates Toiletten-Häuschen, das aus naheliegenden Gründen in einiger Entfernung zum Empfangsgebäude seinen Platz fand. Das Wohnhaus des jeweiligen Bahnhofsvorstandes, der nach den damaligen bahnrechtlichen Vorschriften auf oder am Bahnhof seinen Wohnsitz zu nehmen hatte, komplettierte das Ensemble.

In Kachtenhausen – und fast in Sichtweite des Bahnhofes Ehlenbruch gelegen – war auch die Polstermöbelfabrik Bergmann ansässig. Der für die damalige Zeit durchaus beachtliche Produktionsumfang wurde zunächst mit Fuhrwerken und später dann per LKW vom Werksgelände zur Güterabfertigung am Bahnhof geschafft. Zeitweise fertigte die Ehlenbrucher Güterexpedition allein für Bergmann an jedem Werktag 6 Güterwaggons ab. Für den Güterumschlag auf Bahnhof Ehlenbruch war neben Bergmann auch die nahegelegene Fa. Echterhölter von Bedeutung, die Kunststoff-Artikel aller Art produzierte.

Ansicht des Gebäudes von der Gleisseite aus. Die Aufnahme datiert vom Juli 1951. (Sammlung Soppa)
Ansicht des Gebäudes von der Gleisseite aus. Die Aufnahme datiert vom Juli 1951. (Sammlung Soppa)

Die Kriegszeit überstand das Gebäude ohne nennenswerte Beschädigungen, obwohl im April 1944 zwischen dem nahegelegenen Haltepunkt Wissentrup und dem Bahnhof Ehlenbruch zahlreichen Bomben auf das Streckengleis nach Bielefeld niedergingen. Nach dem 2. Weltkrieg konnte der kleine Bahnhof mit Blick auf Fahrgastzahlen und Güterumschlag nicht wieder an das Vorkriegs-Niveau anschließen. Von 1976 bis 1980 betrieb der VW-Konzern in Kachtenhausen ein neues Vertriebszentrum, für das auf dem Ehlenbrucher Bahnhofsgelände ein spezielles Anschlussgleis hergerichtet wurde.

Im Gefolge der seit 1993 eingeleiteten „Bahnreform“ verlor die Deutsche Bahn AG das Interesse am Weiterbetrieb ihrer kleinen Bahnstation und baute sie zu einem schlichten Haltepunkt um. Das ehemalige Bahnhofsgebäude war damit obsolet geworden stand zum Verkauf. Letztendlich kaufte es die Stadt Lage. In der Folgezeit gaben sich etliche Mieter die Klinke in die Hand, deren Umgang mit der Immobilie der historischen Bausubstanz aber nicht immer zuträglich war.

Seit 2016 dient das Gebäude den Eisenbahnfreunden Lippe e. V. als Vereinsheim. In enger Abstimmung mit der Stadt Lage als Eigentümerin nahmen die Vereinsmitglieder der Eisenbahnfreunde in tausenden von Arbeitsstunden eine fachgerechte Grundsanierung des Gebäudes vor. Äußerlich erstrahlt der ehemalige Bahnhof Ehlenbruch heute in neuem Glanz und gibt eine gute Vorstellung davon, wie er während seiner vielen Jahrzehnte im Bahnbetrieb ausgesehen hat. Im Inneren hat neueste Gebäude- und Sicherheitstechnik Einzug gehalten. Der Verein unterhält hier kleine und große Modellbahnanlagen und einen Werkstattbereich. Auch bietet sich Platz für Aufenthalts- und Sozialräume, eine Fachbücherei und für etliche Exponate aus der deutschen und europäischen Eisenbahngeschichte.

Die Liebe zum historisch korrekten Detail zeichnet die Sanierungsarbeiten der Eisenbahnfreunde Lippe am früheren Ehlenbrucher Stationsgebäude aus. (Foto: Konrad Soppa)
Die Liebe zum historisch korrekten Detail zeichnet die Sanierungsarbeiten der Eisenbahnfreunde Lippe am früheren Ehlenbrucher Stationsgebäude aus. (Foto: Konrad Soppa)
Der ehemalige Bahnhof Ehlenbruch im Frühjahr 2023. Heute dient er den Eisenbahnfreunden Lippe als Vereinsheim und wurde mustergültig grundsaniert. (Foto: Klaus Schuler)
Der ehemalige Bahnhof Ehlenbruch im Frühjahr 2023. Heute dient er den Eisenbahnfreunden Lippe als Vereinsheim und wurde mustergültig grundsaniert. (Foto: Klaus Schuler)

Das Gebäude ist heute sicherlich, zusammen mit dem neu angelegten P+R-Parkplatz und einer Bushaltestelle, ein Aushängeschild des Ortsteils Kachtenhausen.

Die Eisenbahnfreunde Lippe bereiten für den 120. Geburtstag des Gebäudes und der Bahnstrecke (Sonntag, 1. Oktober 2023) eine kostenlose öffentliche Führung vor, bei der sich interessierte Gäste von zertifizierten Stadtführern der Stadt Lage gerne alles aus nächster Nähe zeigen lassen können. Näheres wird rechtzeitig in der Tagespresse bekanntgemacht.

Konrad Soppa, Oktober 2023