Das Kriegsende in Lage vor 80 Jahren

3. April 1945: „Nun sind sie da, die Amerikaner…“

„Nun sind sie da, die Amerikaner…“ notierte der Lagenser Chronist Fritz Geise in seinem Tagebuch. Kurz vor Mitternacht des 3. April 1945 wurde die heutige Kernstadt Lage von US-Truppen besetzt, die aus dem Raum Oerlinghausen und Helpup bis Lage vorgestoßen waren. Dabei kam es in der Lagenser Innenstadt zwischen den US-Verbänden und deutschen Panzern, die sich in Richtung Lemgo zurückzogen, zu einem Gefecht. Lage erlitt dadurch weitere Schäden, nachdem der 8.000-Einwohner-Ort bereits im Februar und März 1945 bei drei großen Luftangriffen auf das Eisenbahnnetz schwer getroffen wurde und etwa 80 Tote zu beklagen waren.

US-Soldaten auf dem Lagenser Marktplatz. Im dortigen Hotel Freitag befand sich die amerikanische Militär-Kommandantur. Nachträglich koloriertes Foto
US-Soldaten auf dem Lagenser Marktplatz. Im dortigen Hotel Freitag befand sich die amerikanische Militär-Kommandantur. Nachträglich koloriertes Foto (Quelle: Sammlung Soppa)

Die heutigen lagenser Ortsteile wurden erst in den Folgetagen vom Frontverlauf überrollt. Dazu liegen eine Reihe von Zeitzeugenberichten vor, wozu auch jener des US-Offiziers Fredrick Brems gehört. Der Ort Müssen taucht sowohl in Brems eigenen Lebenserinnerungen auf als auch in den offiziellen US-Militärberichten. Daher können wir uns heute ein gutes Bild davon machen, wie Müssen von den Amerikanern eingenommen wurde. Zu Brems Aufgaben in der 2. US-Panzer-Division gehörten unter anderem die Auswertung der Ergebnisse der Gefechtsfeldaufklärung und die Vorbereitung der Aktionen des kommenden Tages. Der Tagesbericht des Bataillons für den 4. April 1945 gibt Aufschluss darüber, dass sich die aus dem Raum Oerlinghausen vorrückenden US-Truppen zu einer Angriffsformation sammelten, um dann auf Müssen vorzustoßen. Der Angriff begann morgens um 8 Uhr und dauerte zwei Stunden. Es habe keinen deutschen Widerstand gegeben, aber es seinen 20 Kriegsgefangene gemacht worden. Brems berichtet: „Wir bereiteten den Angriff auf die Stadt mit einer starken Nebelwand vor, die die aufmunitionierten und einsatzbereiten Panzer dann durchstoßen sollten. Als die Panzer aus der Nebelwand herauskamen, stand dort eine ältere Dame. Sie schaute sich kurz fragend unsere Panzer an und sagte uns dann, dass die Deutschen längst weg wären.“[1] Im Rückblick erstaunt es einigermaßen, mit welcher Kampfkraft die Amerikaner den kleinen Ort Müssen einnehmen wollten. Verständlich wird dies aber vor dem Hintergrund, dass es genau diese US-Truppen waren, die zum Teil erst kurz zuvor an den verlustreichen Häuserkämpfen in Oerlinghausen beteiligt waren. Offenbar gingen die Amerikaner davon aus, dass sich auf der Nordseite des Teutoburger Waldes starke deutsche Kräfte formieren, um eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Zu diesem Zeitpunkt setzte sich aber ein Großteil der Wehrmachtsverbände bereits in Richtung ihrer neuen Sammelräume an der Weser ab. Die wenigen auf lippischem Gebiet noch verbliebenen deutschen Einheiten befanden sich bereits in starker Auflösung, waren weitgehend führungslos und ohne Nachschub.

Der US-Offizier Frederick Brems plante die Einnahme des Lagenser Ortsteils Müssen
Der US-Offizier Frederick Brems plante die Einnahme des Lagenser Ortsteils Müssen (Quelle: Knights of Freedom by Lt. Col. Frederick C. Brems USAR (RET), published by Stackpole Books, Blue Ridge Summit, PA.)

Drei große Luftangriffe im Februar und März 1945 richteten im Gebiet der heutigen Kernstadt Lage massivste Schäden an: die Hälfte des Baubestandes war beschädigt, ca. 400 Wohnungen wurden unbewohnbar. Die Angriffe galten Eisenbahnbrücken und dem Bahnhofsgebäude. Die Bombardierung der Bahnbrücken über die Werre und über die direkt daneben vorbeiführende Landstraße nach Pottenhausen waren für die Alliierten von allergrößter strategischer Bedeutung, denn die Bahnlinie Lage-Bielefeld hatte sich für die deutsche Wehrmacht zu einer wichtigen Umleitungsstrecke in unserem Raum entwickelt. Nach einem vergeblichen Versuch gelang es den Amerikanern am 19. März 1945 schließlich, beide Brückenbauwerke bei Lage zu zerstören. Dabei gab es auch große Schäden am unmittelbar neben dem Bahndamm liegenden Friedhof (der heutige „Alte Friedhof“ an der Pottenhauser Straße), auf dem erst drei Wochen zuvor die Opfer der Bombardements vom 21. und 22. Februar 1945 in einem Massengrab beigesetzt worden waren. Während der Friedhof teilweise schnell wiederhergerichtet werden konnte, bemühten sich hunderte von Arbeitern der sogenannten Organisation Todt darum, die Eisenbahnbrücken wieder befahrbar zu machen. Bis zu dem zwei Wochen später erfolgten Einmarsch der US-Truppen in Lage gelang ihnen dieses Vorhaben jedoch nicht mehr. Die Eisenbahnbrücken hatten für die Amerikaner indessen die gleiche militärstrategische Bedeutung wie zuvor für die deutsche Wehrmacht. Mit großem Aufwand gelang ihnen bis zum 14. April 1945, beide Brücken zumindest provisorisch wieder befahrbar zu machen. Dafür musste der hohe und lange Bahndamm, der nach Geises Tagebucheintrag durch die Bombenabwürfe „in des Wortes wahrsten Sinne hinweggefegt“ war, wiederhergerichtet werden. Die US Army Air Force hielt im Mai 1945 die Situation im Bild fest.

Die Mitte April 1945 wieder befahrbare Eisenbahnbrücke über die Werre. Nachträglich koloriertes Foto.
Die Mitte April 1945 wieder befahrbare Eisenbahnbrücke über die Werre. Nachträglich koloriertes Foto. (Quelle: Bildarchiv Markus Lenz, Frankfurt am Main/Sammlung Soppa)

Eine neue Veröffentlichung aus dem Lippe-Verlag greift das Thema „80 Jahre Kriegsende in Lage“ auf. Die Autoren Dr. Hans Jacobs und Konrad Soppa führen hierin bekanntes und neues Material zusammen und bewerten die Vorgänge in diesem für Lippe denkwürdigen Frühjahr 1945 ganz neu. Breiten Raum nehmen dabei zahlreiche Zeitzeugenberichte ein. Der Einmarsch der Besatzungsmacht, die allgemeine Wohnraumnot, der Mangel an Lebensmitteln und Brennmaterial, die Plünderungen und vieles mehr werden dabei zwar anhand der lagenser Gegebenheiten dargestellt, lassen sich aber weitgehend auf ganz Lippe übertragen.

Stadtführer Konrad Soppa (Foto: Soppa)
Konrad Soppa
ist Mitglied der Eisenbahnfreunde Lippe e. V. sowie des Lippischen Heimatbundes Ortsverein Lage und hat zu Themen des lippischen Schienenverkehrs, der lippischen Luftfahrtgeschichte und zur Stadtgeschichte Lage veröffentlicht

[1] Brems, Frederick C. und Fred G. Brems. Knights of Freedom: With the Hell on Wheels Armored Division in World War II : A story in photos, S. 185 – 188.

Konrad Soppa, 31.10.2024