Der verbliebene Schienengüterverkehr in Lippe beschränkt sich – abgesehen von der auf kurzem Abschnitt durch Lippe verlaufenden Hannover-Altenbekener-Eisenbahn – mittlerweile fast ausschließlich auf eine zweimal wöchentlich verkehrende Bedienungsfahrt von Paderborn nach Detmold und gelegentliche Ganzzüge zur Bedienung des Gleisanschlusses Kronospan bei Sandebeck. Dazu kommen noch fallweise ad-hoc eingelegte oder umgeleitete überregionale Güterzüge.
Es gäbe jedoch einiges an Potential zur Revitalisierung des Güterverkehrs auf der Schiene. Entlang der Strecken gab es früher einmal eine Fülle von Güterkunden, die teils über eigene Gleisanschlüsse, teils über öffentlich zugängliche Ladegleise ihre Güter verladen haben. Einiges davon ließe sich heute noch reaktivieren, was natürlich entsprechende Bereitschaft der potentiellen Güterkunden voraussetzt, ihre Güter auf die Schiene zu bringen.
Beispiel: Zuckerfabrik in Lage

Die Zuckerfabrik besaß einmal einen Gleisanschluss mit einem recht ausgedehnten Werksnetz mit eigener Verschublokomotive. Bis Ende der 90er Jahre bekam die Zuckerfabrik auf der Schiene Steinkohle geliefert. Vermutlich wurden die Prozesse dann auf Erdgas umgestellt, so dass die Kohlelieferungen entbehrlich wurden. Zuckerrüben wurden da schon lange nicht mehr verladen. Und so verschwand kurz darauf das Anschlussgleis und auch die Gleisanlagen auf dem Werksgelände.
Eine Reaktivierung scheint aber möglich und geboten: jedes Jahr im Herbst fahren hunderte von Transporten auf der Straße aus ganz Ostwestfalen mit Zuckerrüben nach Lage und stellen häufig ein Verkehrshindernis dar. Vom ökologischen Fußabdruck solcher Transporte ganz abgesehen. Daneben kommen noch weitere Güter in Betracht, die auf der Schiene angeliefert werden könnten:
Produktionsbezogene Rohstoffe:
- Kalkstein oder Branntkalk (für Saftreinigung)
- Schwefelsäure, Natronlauge, andere Chemikalien (für pH-Regulierung, Reinigung)
- Hilfsstoffe für Wasseraufbereitung (z. B. Flockungsmittel, Filtermaterialien)
Energie- und Brennstoffe:
- Kohle oder Koks (für Dampferzeugung, falls noch verwendet)
- Holzhackschnitzel oder Biomasse (für nachhaltige Energieerzeugung)
- Heizöl oder Flüssiggas (für Spitzenlasten oder Notbetrieb)
Betriebsmittel & Infrastruktur:
- Ersatzteile und Maschinenkomponenten (für Wartung und Instandhaltung)
- Baustoffe (z. B. Zement, Stahl für Erweiterungen oder Reparaturen)
Verpackungs- und Lagerhilfsmittel:
- Big Bags, Paletten, Säcke (für Zuckerprodukte)
- Folien, Kartonagen, Etiketten (für Endverpackung und Versand)
Umwelt- und Sicherheitsmaterialien:
- Filtermaterialien für Abluftanlagen
- Sicherheitsausrüstung (z. B. Feuerlöschmittel, Schutzkleidung)
Verschickte Güter
Zugleich werden auch Güter verschickt, die potentiell auf der Schiene transporiert werden könnten:
Hauptprodukte
- Kristallzucker (verschiedene Qualitäten: Raffinade, Industriezucker)
- Flüssigzucker / Zuckersirupe
Nebenprodukte der Rübenverarbeitung
- Rübenschnitzel (getrocknet oder gepresst, als Futtermittel)
- Melasse (für Futtermittel, Hefezucht, Ethanolherstellung)
- Betain und Aminosäuren (für Pharma- und Kosmetikindustrie)
Weitere industrielle Güter
- Bioethanol (als Biokraftstoff oder für industrielle Zwecke)
- CO₂ (für Getränkeindustrie oder technische Anwendungen)
Geschätzten Jahresmengen
Zuckerrübenverarbeitung
- Verarbeitete Rübenmenge pro Jahr: ca. 600.000 bis 800.000 Tonnen
Zuckerproduktion
- Kristallzucker (Weißzucker): ca. 90.000 bis 120.000 Tonnen pro Jahr
Nebenprodukte
- Rübenschnitzel (Futtermittel): ca. 250.000 bis 300.000 Tonnen
- Melasse: ca. 30.000 bis 40.000 Tonnen
Vorhandene Lagerkapazität
- Zuckersilo: bis zu 115.000 Tonnen kristalliner Zucker nach Ausbau
Die genannten Transportmengen fließen derzeit ausschließlich über die Straße.
Mögliche Verlagerung auf die Schiene
Betrachtet man einmal ausschließlich die Anlieferung der Zuckerrüben und ihre mögliche Verlagerung auf die Schiene, ist natürlich das Einzugsgebiet von großer Relevanz. Hier wird man auf der Seite des Verbandes der Rübenbauer im Lippe-Weser-Raum e. V. fündig, die dort abgebildete Karte zeigt eindrucksvoll die Flächen, die der Zuckerfabrik Lage zuliefern. Insbesondere die Schließung der Zuckerfabrik in Warburg im Jahr 2019 dürfte hier für erheblichen Zuwachs gesorgt haben. Für die Eignung einer Verlagerung auf die Schiene sind vor allem von Relevanz:
- Entfernung (je weiter, desto besser)
- vorhandene Infrastruktur (Ladestraße o.ä. als Voraussetzung für den Umschlag vom Straßenhänger auf den Güterwagen)
- möglichst einfacher Betriebsablauf
Die Recherche für die verschiedenen Anbaugebiete ergab die folgende Übersicht potentieller Verladestellen im Einzugsgebiet der Zuckerfabrik Lage:
Anbaugebiet 2
- Betriebsstelle: Gütersloh
- Eigenschaften: Verladung auf TWE-Gelände denkbar
- Strecke: 1700 / 2930
- Entfernung: 17 km
- Betriebsstelle: Rheda-Wiedenbrück
- Eigenschaften: Verladung möglich im Güterbahnhof, Gleis 28/38 straßenseitig erreichbar
- Strecke: 1700 / 2930
- Entfernung: 19 km
- Betriebsstelle: Verl oder Kaunitz
- Eigenschaften: Zustand der Ladestraßen unklar
- Strecke: 1700 / 2930
- Entfernung: 23 km
Anbaugebiete 4, 9, 5 Nord
- Betriebsstelle: Bega
- Eigenschaften: Ladegleis vorhanden, evtl. auf Gelände der Hauptgenossenschaft verlängern.
- Strecke Lemgo-Lüttfeld – Dörentrup derzeit gesperrt wegen baulicher Mängel.
- Strecke: 2970
- Entfernung: 27 km
Anbaugebiet 5
- Betriebsstelle: Warburg
- Eigenschaften: Verladung möglich, Gleis 37 wird seit 3–4 Jahren für Holzverladung genutzt
- Strecke: 2970
- Entfernung: 30 km
Anbaugebiet 6
- Betriebsstelle: Lübbecke
- Eigenschaften: Verladung ggf. am Mittellandkanal möglich. Ladegleis im Bahnhof zu kurz,
- Strecke: 2983
- Entfernung: 50 km
Die übrigen Anbaugebiete und Orte haben wir noch nicht analysiert.
Erforderliche Infrastrukturmaßnahmen
Für den Start einer Anlieferung des Massengutes Zuckerrüben wäre zunächst einmal der Wiederaufbau des Gleisanschlusses der Zuckerfabrik Lage erforderlich, ebenso die Wiederherstellung entsprechender Entladelogistik auf dem Gelände der Zuckerfabrik. Hierfür gibt es als Förderprogramm die Anschlussförderrichtlinie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV), welches bei Erfüllung der Voraussetzungen bis zu 50% der Kosten übernimmt. Weiterhin ermöglicht die Anschlussförderrichtlinie auch eine Förderung des laufenden Betriebes.
Ebenfalls erforderlich wäre die Wiederherstellung der Elektrifizierung des Gleises 6 und dessen Wiederanbindung an die Strecke aus Richtung Detmold. Ärgerlich, dass hier erst vor wenigen Jahren Rückbauten mit wenig Vorausschau in die Zukunft stattgefunden haben.
Ist die Infrastruktur erst einmal wiederhergestellt, und wurde ein geeignetes Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) gefunden, könnte schon kurzfristig in bestimmten Relationen der Verkehr aufgenommen werden. Besonders geeignet erscheinen uns hierfür:
Warburg -> Lage
Hier ist die nötige Infrastruktur in Warburg bereits vorhanden in Form einer ausgedehnte Ladestraße. Die Entfernung zur Zuckerfabrik Lage beträgt 73 km, und bringt damit die Eisenbahn in eine konkurrenzfähige Situation. Aus dem südlichen Teil des Anbaugebietes 5 könnten etwa 50.000 – 100.000 Tonnen Zuckerrüben jährlich auf der Schiene nach Lage gebracht werden.
Lübbecke -> Lage
Hier müsste geklärt werden, inwieweit der Umschlagplatz am Kanalhafen für die Zuckerrübenverladung genutzt werden könnte. Über eine multimodale Nutzung könnten hier sogar bis zu 80% Förderung für ggf. erforderliche Maßnahmen eingeholt werden. Wenn die Nutzung geklärt ist funktioniert, könnte auch hier zeitnah der Verkehr starten. Die Entfernung zur Zuckerfabrik Lage beträgt ca. 50 km. Konservativ geschätzt könnten 40.000 – 60.000 Tonnen jährlich über den Kanalhafen Lübbecke verladen werden.
Rheda-Wiedenbrück -> Lage
Nächstes geeignetes Anbaugebiet wäre das Gebiet 2. Hier würde sich Rheda-Wiedenbrück mit seiner vorhandenen Ladestraße am Gleis 28/38 anbieten. Zusätzlich könnte auch Gütersloh Nord eingebunden werden, ebenso ggf. Verl oder Kaunitz. Von Rheda-Wiedenbrück aus sind es 43 km bis Lage. Schätzungsweise könnten 50.000 – 70.000 Tonnen Zuckerrüben pro Jahr hier umgeschlagen werden. Würden zusätzlich auch Gütersloh und Kaunitz / Verl für den Umschlag genutzt, könnte diese Menge auf bis zu 120.000 Tonnen jährlich gesteigert werden.
Weitere Relationen
Auch die weiteren o.g. Anbaugebiete kämen für eine Umstellung in Frage. Besonders charmant wären Investitionen in die Infrastruktur der Begatalbahn, die zugleich die Reaktivierung des Personenverkehrs erleichtern würden. Das haben wir auf Grund der Komplexität nicht detailliert betrachtet.
Alle Recherchen zu Mengen, Güterarten und mögliche Tonnagen haben wir über eine KI durchgeführt. Die notwendigen Daten zu Standorten, Anbindungen und Infrastruktur haben wir dabei selbst recherchiert und zugeliefert.